„Der Zweifel ist der Beginn der Wissenschaft. Wer nichts anzweifelt, prüft nichts. Wer nichts prüft, entdeckt nichts. Wer nichts entdeckt, ist blind und bleibt blind.“ (Teilhard de Chardin, 1881-1955, frz. Theologe, Paläontologe u. Philosoph)

Sächsisches Oberverwaltungsgericht: Erhebung von Straßenausbaubeiträgen in Leipzig-Holzhausen rechtswidrig

Mit mehreren Urteilen vom 17. April 2024 hob das Sächsische Oberverwaltungsgericht in Bautzen Straßenausbaubeitragsbescheide zulasten der Anlieger an zwei bedeutenden Hauptstraßen im Stadtteil Holzhausen der Stadt Leipzig, der Baalsdorfer Straße und der Hauptstraße, (5 A 19/23, 5 A 106/23 u.W. bislang unveröff.) auf und erteilte der von der Stadt Leipzig vorgenommenen Erhebung von Straßenausbaubeiträgen für beide Straßen zugleich eine Absage. Angesichts der großen Anzahl der betroffenen Anlieger und der hohen Summe der insgesamt von der Stadt Leipzig veranschlagten Straßenausbaubeiträge ist diese Entscheidung ein großer Erfolg:

Vor dem Verwaltungsgericht geklagt hatten in erster Instanz 36 von Füßer und Kollegen vertretene Anlieger der Baalsdorfer Straße und der Hauptstraße, die von der Stadt zur Zahlung von Straßenausbaubeiträgen für Baumaßnahmen von April 2015 bis Dezember 2016 an diesem Teil der Staatsstraße S 78 herangezogen worden waren. Hierbei sollten Straßenausbaubeiträge von insgesamt ca. 218.000 Euro vom Verwaltungsgericht überprüft werden. Weitere Kläger wurden von anderen Anwälten vertreten.

Das Verwaltungsgericht Leipzig wies die Klagen Ende 2022/ Anfang 2023 ab (6 K 359/21 u.A.), da die Straßenausbaubeitragsbescheide aus der Sicht des Gerichts rechtmäßig waren.

Zwar wies das Verwaltungsgericht zutreffend darauf hin, dass die ausbaubeitragsfähige Verkehrsanlage i.S.v. § 26 I 16 KAG i.V.m. § 1 I StrABS der früher geltenden Straßenausbaubeitragssatzung der Stadt Leipzig die öffentliche Straße in ihrer gesamten Ausdehnung ist. Anfang und Ende der Verkehrsanlage bestimmen sich dabei nicht nach der Straßenbezeichnung, sondern bei natürlicher Betrachtung nach deren Erscheinungsbild. Maßgeblich sind z.B. die Straßenführung, ihre Breite, Länge, Ausstattung sowie die Zahl der erschlossenen Grundstücke, ihre Verkehrsfunktion und gegebenenfalls vorhandene Abgrenzungen (z.B. Kreuzungen, Einmündungen). Um als selbstständige Verkehrsanlage angesehen werden zu können, muss eine Straße augenfällig als eigenständiges Element des Straßennetzes erscheinen, wobei der Zustand der Straße nach ihrem erfolgtem Ausbau maßgeblich ist. Dies ist entscheidend, weil Beiträge immer nur für eine Verkehrsanlage erhoben werden können und das auch nur, wenn diese in gesamter Länge fertig gestellt ist.

Allerdings vertrat das Verwaltungsgericht Leipzig wie die Stadt Leipzig die Auffassung, dass die Staatsstraße S 78 im Kurvenbereich zwischen Hauptstraße und Baalsdorfer Straße an der Einmündung der Kärrnerstraße und des Lobelienweges in zwei selbstständige Verkehrsanlagen zerfällt. Die scharfe, rechtwinklige Kurve würde zu einer Zäsur der Verkehrsanlage führen und ein vor Ort stehender Betrachter könne den Kurvenbereich nicht vollständig einsehen sowie den weiteren Straßenverlauf erst beim Erreichen des Kurveneingangs überblicken. Der Kurve würde also eine trennende Wirkung zukommen, sodass die Stadt Leipzig die Beiträge – zumindest nach der Auffassung des Verwaltungsgerichtes – richtigerweise für zwei verschiedene Verkehrsanlagen getrennt erhoben hatte.

Das Sächsische Oberverwaltungsgericht entschied nunmehr im April 2024, dass die Urteile des Verwaltungsgerichts Leipzig geändert und die Beitragsbescheide der Stadt Leipzig aufgehoben werden. Hierbei hat das Oberverwaltungsgericht auch festgehalten, dass es sich bei der Baalsdorfer Straße und der Hauptstraße trotz der „Kurve“ um eine einheitliche Verkehrsanlage handelt.

Der Ausbauzustand beider Straßen, deren Breite und ihre Erschließungsfunktion seien gleich, die an beiden Straßen anliegenden Grundstücke würden eine weitestgehend ähnliche Bebauung mit Wohnhäusern, Geschäften und kleineren Gewerbebetrieben aufweisen. Beide Straßen würden über die einheitliche Verkehrsfunktion der Hauptverkehrsstraße als Ortsdurchfahrt verfügen. Der Kurve im Bereich der Kreuzung Baalsdorfer Straße/Hauptstraße /Kärrnerstraße/Lobelienweg schrieb das Sächsische Oberverwaltungsgericht dabei keine Zäsurwirkung zu. Vielmehr führen die Baalsdorfer Straße und die Hauptstraße nach der Auffassung des Gerichts als einheitliche Straße weiter. Angesichts ihrer Verkehrsfunktion löse die Kreuzung keine Zäsurwirkung aus, da sie – anders als z.B. einer Ampelkreuzung – den Verkehrsfluss nicht unterbricht.

Angesichts dessen kann das Oberverwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass die Stadt Leipzig für diese einheitliche Verkehrsanlage jedenfalls keine Trennung bei der Beitragsberechnung im Kurvenbereich Hauptstraße/Baalsdorfer Straße vornehmen durfte. Ob die Verkehrsanlage am Ortsausgang Holzhausen endet und deshalb stattdessen eine einheitliche Beitragserhebung der richtige Weg gewesen wäre, ließ das Gericht offen.

Im Übrigen dürfte es sich vorerst um eines der letzten großen Verfahren zu Straßenausbaubeiträgen in Leipzig gehandelt haben. Die Stadt Leipzig hat die Beitragssatzung mit Wirkung zum Juli 2018 schon vor Jahren aufgehoben. In einer Übergangszeit konnten aber noch Beiträge für Straßen erhoben werden, die bis zu einem Stichtag 2018 fertigt hergestellt waren.

Die Berufungsurteile des Oberverwaltungsgerichts sind mittlerweile rechtskräftig. Die Stadt Leipzig hat den betroffenen Anliegern die Beiträge erstattet, einschließlich einer gesetzlich vorgeschriebenen Verzinsung von 6 % p.a. für die Dauer des Klageverfahrens.