Mit Urteil vom 22. April 2024 hob das Verwaltungsgericht Gera in einem Klageverfahren einen Erschließungsbeitragsbescheid zulasten eines Anliegers der Straße „An der Schmiede“ in Altenburg (3 K 1067/21Ge, bislang unveröff.) auf und zeigte erhebliche Fehler der Stadt bei der Bauausführung und Beitragserhebung auf. Das Verfahren ist für mehrere Anlieger der Straße von Bedeutung, denn diese hatten gegen die Bescheide der Stadt Altenburg Widersprüche eingelegt, über die das Landratsamt noch nicht entschieden hat.
Vor dem Verwaltungsgericht Gera hatten deshalb ein Anwohner und ein Eigentümer eines Garagengrundstückes geklagt, die von der Stadt Altenburg zur Zahlung eines Erschließungsbeitrages in 4-stelliger Höhe für Bauarbeiten an der Straßenoberflächenentwässerung in der nur ca. 250 m langen Straße „An der Schmiede“ in Altenburg herangezogen worden waren. Insgesamt betrug der von der Stadt als beitragsfähige veranschlagte Erschließungsaufwand für diese Baumaßnahme aus dem Jahr 2016 stattliche 95.421,56 Euro. Hierfür waren zwei Einläufe in der Straße saniert und mittels Kanal an die städtische Abwasserentsorgung angeschlossen worden.
Das Verwaltungsgericht stellte in seinem Urteil fest, dass es vor dem 3. Oktober 1990 noch keine funktionsfähige Straßenoberflächenentwässerung in der Straße gegeben hat. Dieser Zeitpunkt der Wiedervereinigung ist in erschließungsbeitragsrechtlicher Hinsicht besonders bedeutsam, denn gemäß § 242 IX 1 BauGB können für Erschließungsanlagen in den „neuen“ Bundesländern von vornherein keine Erschließungsbeiträge nach dem Baugesetzbuch, sondern lediglich Straßenausbaubeiträge nach dem Kommunalabgabengesetz des jeweiligen Landes (soweit ein solches existiert und einschlägig ist) erhoben werden, wenn deren Straßenoberfläche, Beleuchtung oder Entwässerung vor dem Wirksamwerden des Beitritts zum 3. Oktober 1990 bereits hergestellt waren. In der Straße „An der Schmiede“ floss das Regenwasser bis zur Wiedervereinigung jedoch überwiegend über die schräg zum Feld geneigte Straße ab und versickerte auf dem Feld. Straßeneinlaufschächte wurden erst im Jahr 1994 und mithin nach der Wiedervereinigung eingebaut. Ein Ablauf des Oberflächenwassers durch das Längs- und Quergefälle der Fahrbahn reicht nach der Ansicht des Verwaltungsgerichts jedoch nicht aus. Daher hätte die Stadt Altenburg gemäß § 127 BauGB i.V.m. den Vorschriften der Erschließungsbeitragssatzung der Stadt grundsätzlich Erschließungsbeiträge für die erstmalige und endgültige Herstellung der Straßenoberflächenentwässerung erheben können. Allerdings hatte die Stadt Altenburg das beitragsrechtlich maßgebliche Ende der Erschließungsanlage falsch bestimmt. Außerdem wurde die abgerechnete Entwässerungseinrichtung nur auf einer Länge von knapp 2/3 der Straße gebaut, wobei selbst dieser Teilabschnitt nicht einmal funktionsfähig ist.
Die Ausdehnung einer Erschließungsanlage bemisst sich dabei nach deren Erscheinungsbild. Die tatsächlichen Verhältnisse vor Ort (z.B. Führung, Breite, Länge und Ausstattung einer Straße), wie sie sich einem unbefangenen Beobachter bei natürlicher Betrachtungsweise im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht darstellen, sind maßgeblich. Über den Beginn der Straße „An der Schmiede“ im Bereich der Abzweigung von der Zschernitzer Straße waren sich die Beteiligten und das Gericht noch einig. Unterschiedliche Rechtsauffassungen vertraten der Anwohner und die Stadt hingegen hinsichtlich des Endes der Erschließungsanlage. Das Gericht entschied nun, dass die Straße wegen ihres geradlinigen Verlaufs ohne optische Unterbrechung weiterführt als von der Stadt angenommen. Auch verschiedene Straßenbeläge, eine nicht bis zum Straßenende führende Beleuchtung und eine größere als Feld genutzte Freifläche auf einer Seite der Straße änderten nach der Auffassung des Gerichts nichts an ihrem einheitlichen Gesamteindruck.
Bis heute ist die Verkehrsanlage ‑ so das Gericht ‑ noch nicht endgültig hergestellt. Nach § 14 I a der Erschließungsbeitragssatzung der Stadt wäre dies nur dann der Fall, wenn Straßen u.a. „mit betriebsfertigen Entwässerungsanlagen ausgestattet sind“. Nach dem Gericht muss eine Entwässerungsanlage daher funktionieren, die gesamte Straßenlänge entwässern und auch entsprechend auf die örtlichen Verhältnisse zugeschnitten sein. Die von der Stadt Altenburg errichtete Entwässerungseinrichtung besteht im Wesentlichen nur aus dem Anschluss von zwei Straßeneinläufen an das städtische Kanalisationssystem und befindet sich auch nur im vorderen, stadteinwärts gerichteten Teil der Straße. Insgesamt existieren nur zwei Gullys auf der Höhe des Wohnhauses des klagenden Anwohners – sonst nichts. Das ist nach der Ansicht des Gerichts schlichtweg zu wenig, um das anfallende Regenwasser auf der gesamten Straße ordnungsgemäß abzuleiten. Selbst nach den kostspieligen Baumaßnahmen läuft des Regenwasser nun weiter aufs Feld.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Gera ist mittlerweile rechtskräftig. Die Stadt Altenburg muss dem betroffenen Anlieger seinen bereits gezahlten Beitrag einschließlich einer gesetzlich vorgeschriebenen Verzinsung von ca. 5,7 % p.a. seit dem Tag der Einlegung des Widerspruchs am 19. Februar 2020 bis zum Auszahlungstag (§ 15 I Nr. 5 bb, dd ThürKAG i.V.m. §§ 236, 238 AO) erstatten.
In den Verfahren der anderen Anlieger muss nun das Landratsamt über die noch anhängigen Widersprüche entscheiden, die während des vor dem Verwaltungsgericht geführten Gerichtsverfahrens ruhend gestellt wurden. Die Aufhebung der Beitragsbescheide und die Rückzahlung der Beiträge nebst Verzinsung an die anderen Anwohner sind auch in diesen Verfahren zu erwarten.