„Der Zweifel ist der Beginn der Wissenschaft. Wer nichts anzweifelt, prüft nichts. Wer nichts prüft, entdeckt nichts. Wer nichts entdeckt, ist blind und bleibt blind.“ (Teilhard de Chardin, 1881-1955, frz. Theologe, Paläontologe u. Philosoph)

Rechtsmittelreform in Zivilsachen

I. Ziele der Neuregelung

Die Bundesministerin der Justiz hat der Justizministerkonferenz, welche vom 07. bis 09. Juni 1999 stattfand, einen „Bericht zur Rechtsmittelreform in Zivilsachen“ vorgelegt. Er wurde unter Federführung der seit 1997 tätigen Länder-Arbeitsgruppe „Rechtsmittel im zivilgerichtlichen Verfahren“ erarbeitet und hat eine Umgestaltung der Berufungsinstanz, des Zugangs zum Revisionsgericht sowie Änderungen im erstinstanzlichen Verfahren zum Inhalt. Ziel der Reform ist die Entlastung der Justiz, wobei die Qualität der Rechtsprechung und die Funktionsfähigkeit der Zivilkammern nicht beeinträchtigt werden sollen. Derzeit ist der Deutsche Anwaltsverein zur Stellungnahme aufgerufen. Wir wollen im folgenden die wichtigsten vorgesehenen Änderungen in der ZPO vor- und zur Diskussion stellen:

1. Berufungsverfahren

Dem Berufungsverfahren soll ein Annahmeverfahren vorangestellt werden, für das die Vorschriften über die Begründung, Form und Frist der Berufung gelten sollen. Annahmegründe sollen die „hinreichende Erfolgsausssicht“ und die „grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache“ sein. Die Entscheidung des Senates ergeht entweder in Form eines unanfechtbaren Nichtannahmebeschluß oder in Gestalt des Annahmebeschluß. Mit letzerem wird zugleich über die Übertragung auf den Einzelrichter entschieden, zudem soll er prozeßleitende Verfügungen enthalten. Eine Begründung ist dann in analoger Anwendung des § 124 a II 2 VwGO nicht erforderlich, wenn der Antrag einstimmig abgelehnt oder angenommen wird. Der Prüfungsumfang des Berufungsverfahrens wird beschränkt. Das Gericht soll an die rechtsfehlerfreie Tatsachenfeststellung der Vorinstanz gebunden sein. Bei Verfahrensfehlern soll sich der Prüfungsumfang nach den Berufungsgründen bestimmen. Die Berufungsbegründung unterliegt verschärften Anforderungen: verfahrensrechtliche und sachlich-rechtliche Mängel müssen in qualifizierter Form dargelegt werden. Für die Berufungseinlegung bleibt es bei den bisherigen Regelungen. Die Frist der Berufungfsbegründung beginnt mit Zustellung der angefochtenen Entscheidung und beträgt zwei Monate. Fristverlängerung kann maximal für einen Monat gewährt werden. Die Berufungssumme wird mit der Bagatellgrenze für vereinfachte Verfahren nach § 495 a ZPO auf 1.200,00 DM vereinheitlicht. Für Fälle, die die Berufungssumme nicht erreichen wird es eine Zulassungsberufung geben, sofern grundsätzliche Bedeutung gegeben ist. Die Entscheidung trifft der judex a quo.

2. Gerichtsverfassungsrecht

Zukünftig sollen nach dem Bericht alle Berufungen zum Oberlandesgericht gehen, die Zuständigkeit der Landgerichte soll gestrichen werden, § 72 GVG. Auch die Beschwerdezuständigkeit des Landgerichtes , § 72 GVG , soll entfallen.

3. Besetzung der Gerichte

Soweit der Wert des Streitgegenstandes bei Einreichung der Klage 60.000,00 DM nicht übersteigt, soll das Landgericht durch den Einzelrichter entscheiden. Liegen besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art vor bzw. hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, überträgt der Einzelrichter den Rechtsstreit der Zivilkammer. In Berufungsverfahren überträgt der Senat den Rechtsstreit auf einen Einzel-richter, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter erlassen wurde, keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art vorliegen und die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat. Die Entscheidung der Übertragung kann ohne mündliche Verhandlung ergehen und ist unanfechtbar.

4. Revision

Das bestehende System von Zulassungs- und Annahmerevision soll durch eine Regelung ersetzt werden, die den Zugang zum Revisionsgericht einheitlich gestaltet: Die Revision wird beschränkt auf die Zulassungsgründe „grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache“ und „Divergenz“. Die Zulassungsentscheidung ergeht durch den judex a quo. Gegen die Nichtzulassung der Revision soll die Zulassungsbeschwerde eingeführt werden, die beim judex ad quem einzulegen ist. Sie kann nur darauf gestützt werden, daß das Berufungsgericht in den Fragen der grundsätzlichen Bedeutung oder der Divergenz fehlerhaft entschieden hat. Da man eine Überlastung des BGH befürchtet, soll für eine Übergangszeit eine vom Beschwerdewert abhängige Beschränkung der Nichtzulassungsbeschwerde vorgesehen werden.

5. Änderungen in der ersten Instanz

Die hier vorgesehenen Änderungen sollen die erste Instanz stärken, indem ein Einzelrichtersystem beim Landgericht eingeführt und die materielle Prozeßleitung gestärkt wird. Das Gericht soll den Parteien eine außergerichtliche Streitschlichtung vorschlagen und hierzu auf Antrag das Verfahren längsten 6 Monate aussetzen können. Das Präsidium der Bundesrechtsanwaltskammer hat die Annahmeberufung und die Abschaffung der Streitwertrevision abgelehnt. Noch in diesem Jahr will die Bundesministerin der Justiz einen ersten Referentenentwurf vorlegen. Die Verabschiedung des Gesetzes ist für das Jahr 2000 geplant.