„Der Zweifel ist der Beginn der Wissenschaft. Wer nichts anzweifelt, prüft nichts. Wer nichts prüft, entdeckt nichts. Wer nichts entdeckt, ist blind und bleibt blind.“ (Teilhard de Chardin, 1881-1955, frz. Theologe, Paläontologe u. Philosoph)

Altersgrenze für öffentlich bestellte Vermessungsingenieure: Nach Anhebung auf 72 Jahre entscheidet Bundesverwaltungsgericht über Altfälle

Sächsischer Landtag beschließt Anhebung ohne Gegenstimmen

Der Sächsische Landtag hat in seiner 78. Plenarsitzung vom 19. Juni 2013 das Gesetz zur Änderung des Sächsischen Vermessungs- und Katastergesetzes beschlossen und darin die Altersgrenze für öffentlich bestellte Vermessungsingenieure in § 21 II Nr. 2 SächsVermKatG auf 72 Jahre angehoben.

Damit hat der Gesetzgeber endlich auf die Bemühungen von Berufsverbänden der Vermessungsingenieure und auf anhängige Klagen gegen die bis dahin geltende Altersgrenze von 68 Jahren reagiert. Seit 2011 hatten vier öffentlich bestellte Vermessungsingenieure beim Verwaltungsgericht Dresden gegen die bisherige Altersgrenze wegen europarechtlicher Bedenken geklagt. Davon wurden drei Kläger von Füßer & Kollegen vertreten. Die Klageverfahren von zwei Vermessungsingenieuren konnten dann wegen der Anhebung der Altersgrenze beendet werden. Die anderen beiden Kläger – einer davon vertreten von Füßer & Kollegen – profitierten nicht mehr von der Anhebung der Altersgrenze, weil sie das 68. Lebensjahr schon vor dem Inkrafttreten der Neuregelung erreicht haben. Ihre beiden Klageverfahren sind derzeit noch anhängig (dazu siehe unten).

Im Gesetzgebungsverfahren selbst gingen die Abgeordneten des Sächsischen Landtages einmütig und fraktionsübergreifend davon aus, dass bereits jetzt ein spürbarer Mangel an Berufsnachwuchs für öffentlich bestellte Vermessungsingenieure in Sachsen besteht. In den bisher geführten Verfahren vor den Verwaltungsgerichten hatte das Sächsische Staatsministerium des Innern bislang freilich das glatte Gegenteil behauptet und die Altersgrenze mit dem Argument gerechtfertigt, dass auch dem vorhandenen jüngeren Berufsnachwuchs eine Chance auf Bestellung eingeräumt werden müsse und dies nur durch die Altersgrenze zu erreichen sei. Außerdem machte der Freistaat Sachsen geltend, wegen der (seiner Ansicht nach) nachlassenden körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit jenseits des 68. Lebensjahres bedürfe es der Altersgrenze zur Gewährleistung eines funktionierenden und geordneten Vermessungswesens in Sachsen. Wer sich von der völlig unterschiedlichen Einschätzung der Sachlage durch den Gesetzgeber einerseits und die Verwaltung andererseits ein Bild machen will, kann dies anhand unseres ausführlichen Schriftsatzes vom 18. Juli 2013 (siehe unten) tun.

Aus juristischer Sicht bleibt damit zu konstatieren, dass es sich trotz mancher Zurückhaltung durch die deutschen Verwaltungsgerichte lohnen kann, Altersgrenzen für Berufstätige vor dem Hintergrund des europarechtlichen Verbots der Altersdiskriminierung einer näheren Prüfung zu unterziehen.

Hintergrund zur Altersgrenze für öffentlich bestellte Vermessungsingenieure

Öffentlich bestellte Vermessungsingenieure sind mit einem öffentlichen Amt beliehen und üben daher im Rahmen ihrer Tätigkeit hoheitliche Befugnisse aus. Sie sind nach dem Sächsischen Vermessungs- und Katastergesetz (SächsVermKatG) und die Abmarkung als untere Vermessungsbehörden zuständig.

Während für verschiedene Bereiche des Arbeitslebens über die Verlängerung der Lebensarbeitszeit nachgedacht und dieses auch gesetzlich umgesetzt wird, beschritt der Sächsische Gesetzgeber für öffentlich bestellte Vermessungsingenieure den umgekehrten Weg. 2003 hat er die für diese geltende Altersgrenze von 70 Jahren auf 68 Jahre heruntergesetzt. Dass dies mit der Richtlinie 2000/78 der Europäischen Gemeinschaft gegen Diskriminierungen im Arbeitsleben und Beruf sowie dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vereinbar ist, kann mit Fug und Recht bezweifelt werden. Tatsächlich verfügen auch nur vier Bundesländer über eine Altersgrenze für öffentlich bestellte Vermessungsingenieure (Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen und Sachsen).

Gleichzeitig ist die Tätigkeit des öffentlich bestellten Vermessungsingenieurs in Sachsen stark reglementiert und auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht immer hinreichend auskömmlich. Dies und verschiedene andere wirtschaftlichen Erwägungen hat eine Gruppe mehrerer öffentlich bestellter Vermessungsingenieure dazu bewogen, gegen die Altersgrenze mit Hilfe von Füßer & Kollegen gerichtlich vorzugehen. Dazu haben Füßer & Kollegen für drei Vermessungsingenieure am 12. Mai 2011 Klage beim Verwaltungsgericht Dresden erhoben (Az. 3 K 676/11). In Anbetracht der sehr ungleichmäßigen Altersstruktur unter öffentlich bestellten Vermessungsingenieuren ist in Sachsen mittelfristig mit einem altersbedingten, wellenartigen Ausscheiden eines großen Teils der Vermessungsingenieure zu rechnen.

Die bis 2013 geltende Altersgrenze von 68 Jahren und ihre seinerzeitige Begründung (altersbedingte Leistungsabnahme) deckt sich freilich nicht mit diversen Vorgaben aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg. Dieser hatte in seinem Urteil vom 13. September 2011 über die tarifvertragliche Altersgrenze von 60 Jahren für Piloten der Deutschen Lufthansa entschieden, dass eine tarifvertragliche Altersgrenze der vorliegenden Art mit der Richtlinie 2007/78/EG unvereinbar ist. Insbesondere gestatte die Regelung in Art. 6 I der Richtlinie, welche Altersdiskriminierungen unter bestimmten Voraussetzungen ermöglicht, nur die Berücksichtigung sozialpolitische Ziele. Zuvor hatten deutsche Gerichte bis hin zum Bundesverwaltungsgericht gerade unter Berufung auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs genau die gegenteilige Auffassung vertreten. Mit der Entscheidung des Gerichtshofs wurde die Wirksamkeit der Richtlinie 2000/78/EG gerade in Bezug auf Altersdiskriminierungen deutlich gestärkt. So kann eine Altersdiskriminierung mit der Begründung nachlassender körperlicher und geistiger Leistungsfähigkeit nicht mehr auf die Vorschrift in Art. 6 I der Richtlinie gestützt werden. Eine Berücksichtigung nachlassender körperlicher und geistiger Leistungsfähigkeit ist vielmehr nur noch nach Art. 2 V und Art. 4 I der Richtlinie möglich. Diese Vorschriften stellen aber wesentlich strengere Anforderungen an die Rechtmäßigkeit von Altersgrenzen. Deshalb musste auch die Altersgrenze für die Lufthansapiloten scheitern. Nach internationalen Übereinkommen wäre es nämlich möglich gewesen, die Altersgrenze bei 65 anzusetzen. Daraus entnahm der Gerichtshof, dass eine Altersgrenze von 60 Jahren mit Blick auf körperliche und geistige Leistungsfähigkeit nicht erforderlich ist.

Ähnlich erfolgreich war ein öffentlich bestellter Sachverständiger aus Bayern, der gegen das Auslaufen seiner Bestellung mit dem 71. Lebensjahr gerichtlich vorgegangen war. Seine Klage blieb zunächst in drei Instanzen bis zum Bundesverwaltungsgericht erfolglos (Urt. v. 26.1.2011 – 8 C 46.09 –, BVerwGE 139, 1 = NVwZ 2011, 569). Das Bundesverfassungsgericht hob die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts dann jedoch auf (Beschl. v. 24.10.2011 – 1 BvR 1103/11 –, NVwZ 2012, 297), weil letzteres die entgegenstehende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) nicht beachtet hatte. Danach – in der Wiederholungsrunde – musste das Bundesverwaltungsgericht dem klagenden Sachverständigen Recht geben (Urt. v. 1.2.2012 – 8 C 24/11 –, NJW 2012, 1018).

Diese Entwicklung der Rechtsprechung hatte zwei der von uns vertretenen Vermessungsingenieure dazu bewogen, am 22. Dezember 2011 parallel einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht Dresden zu stellen. Dieser Antrag wurde vom Verwaltungsgericht mit einem vierseitigen (!) Beschluss vom 21. Mai 2012 abgelehnt. Die dagegen gerichtete Beschwerde zum Sächsischen Oberverwaltungsgericht blieb ebenfalls erfolglos und wurde durch Beschluss des vierten Senats des Oberverwaltungsgerichts vom 1. Oktober 2012 zurückgewiesen (4 B 250/12). Mit der umfangreichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Altersgrenzen setzten sich jedoch weder das Verwaltungsgericht Dresden noch das Oberverwaltungsgericht näher auseinander. In seinem Beschluss (siehe unten) kam das Verwaltungsgericht – ohne nähere Begründung – zu dem Ergebnis, dass die Altersgrenze der angemessenen Verteilung der Berufschancen zwischen den Generationen dient. Die Angemessenheit der Regelung begründet das Gericht unter anderem knapp mit dem Verweis auf ähnliche Regelungen für Beamte, Richter und Staatsanwälte. Dieser Vergleich trägt freilich nicht, weil die Vermessungsingenieure rechtlich in einer ganz anderen Position sind: Sie tragen das wirtschaftliche Risiko ihrer Tätigkeit, haften für jeglichen Fehler selbst und erhalten vom Staat weder Gehalt noch Pensionsansprüche und dergleichen. Gerade der letzte Punkt – eine angemessene Altersversorgung – ist nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs jedoch zwingende Voraussetzung für eine angemessene Altersgrenze. Das Oberverwaltungsgericht ging in seinem Beschluss vom 1. Oktober 2012 davon aus, dass die Altersgrenze voraussichtlich mit dem europäischen Recht vereinbar sei, weil sie das Ziel verfolge, die Berufschancen zwischen den Generationen zu verteilen. Eine konkrete Begründung dafür blieb das Gericht jedoch schuldig; es begnügte sich vielmehr mit der Feststellung, dass die Altersgrenze objektiv dazu diene, „die nur begrenzt zur Verfügung stehenden Stellen mit einer gewissen Planbarkeit und Vorhersehbarkeit für jüngere Bewerber frei zu halten“.

Dementsprechend fielen auch die Entscheidungen zur Hauptsache in erster Instanz aus. Mit Urteil vom 7. März 2013 wies das Verwaltungsgericht Dresden die erste Hauptsacheklage in dieser Sache ab und ließ die Berufung nicht zu. Dann folgte jedoch die Überraschung: Auf den Antrag des Klägers hin ließ der erste Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts mit Beschluss vom 2. Dezember 2013 (1 A 329/13) die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils zu. Insbesondere hat der erste Senat Zweifel, ob die Altersgrenze auch tatsächlich der Chancengleichheit zwischen den Generationen dient. Damit hatte sich der erste Senat unübersehbar von der Entscheidung des vierten Senats in seinem Eilbeschluss vom 1. Oktober 2012 abgegrenzt. Freilich handelte es sich hier offensichtlich um ein Versehen bei der gerichtsinternen Zuständigkeitsverteilung, so dass das Verfahren nach kurzer Zeit an den für das Berufsrecht freier Beruf zuständigen vierten Senat des Oberverwaltungsgerichts abgegeben wurde. Dieser wies dann auch die Berufung durch Urteil vom 11. November 2014 zurück (4 A 784/13), ohne die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zuzulassen. Gegen diese Entscheidung hat der Kläger beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde erhoben (10 B 10.15), über die noch nicht entschieden ist. Das Bundesverwaltungsgericht wird sich in diesem Verfahren mit mehreren Fragen zur Altersdiskriminierung, aber auch zur Vorlageverpflichtung an den Europäischen Gerichtshof auseinandersetzen müssen. Diese Fragen zur Vereinbarkeit der Altersgrenze mit dem Verbot der Altersdiskriminierung haben auch über den Fall hinaus Bedeutung, weil sie sich auch für die auf 72 Jahre angehobene Altersgrenze der öffentlich bestellten Vermessungsingenieure stellen.

Beim vierten Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts ist einstweilen noch das zweite Klageverfahren eines weiteren öffentlich bestellten Vermessungsingenieurs anhängig. Dessen Klage wurde vom Verwaltungsgericht Dresden mit Urteil vom 24. Oktober 2013 zurückgewiesen, die Berufung ebenfalls nicht zugelassen. Über den Antrag auf Zulassung der Berufung wird das Oberverwaltungsgericht voraussichtlich erst nach Abschluss des Verfahrens beim Bundesverwaltungsgericht entscheiden.

Wer sich im Übrigen unvoreingenommen mit der Frage nachlassender körperlicher und geistiger Leistungsfähigkeit speziell bezogen auf das Arbeitsleben beschäftigen möchte, kann dies in der Expertise des Sachverständigenrates der Bundesregierung zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vom Mai 2011 mit dem Titel „Herausforderungen des demografischen Wandels“ tun. Die Expertise legt unter Bezugnahme auf verschiedenste international durchgeführte Untersuchungen dar, dass es keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber gibt, dass die Arbeitsfähigkeit jenseits des 65. Lebensjahres allgemein und branchenunabhängig nachlässt.

Als Materialien stellen wir Ihnen zur Verfügung: