„Der Zweifel ist der Beginn der Wissenschaft. Wer nichts anzweifelt, prüft nichts. Wer nichts prüft, entdeckt nichts. Wer nichts entdeckt, ist blind und bleibt blind.“ (Teilhard de Chardin, 1881-1955, frz. Theologe, Paläontologe u. Philosoph)

Füßer & Kollegen erstreiten wegweisendes Urteil: Taxitarif muss Gewinnspanne enthalten

Mit Normenkontrollurteil vom 16. Juni 2022 (3 K 196/19) hat das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt in Magdeburg die Verordnung über die Beförderungsentgelte und Beförderungsbedingungen für die im Landkreis Anhalt-Bitterfeld zugelassenen Taxen vom 20. September 2017 für unwirksam erklärt.
Im Landkreis Anhalt-Bitterfeld (Sachsen-Anhalt) galt bis zu bis 1. November 2019 die Verordnung über die Beförderungsentgelte und Beförderungsbedingungen für die im Landkreis Anhalt-Bitterfeld zugelassenen Taxen vom 20. September 2017. Gegen diese Verordnung wandte sich ein von Füßer & Kollegen vertretenes Taxiunternehmen mit der Argumentation, dass die Verordnung entgegen den Vorgaben des Personenbeförderungsgesetzes keine auskömmlichen Tarife festsetze.
Nunmehr hat das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt die Rechtswidrigkeit der Verordnung festgestellt. Auch wenn der Taxentarif 2017 bereits nicht mehr galt, war der Normenkontrollantrag – so das Oberverwaltungsgericht – zulässig und das Gericht bestätigte im Ergebnis die Fehlerhaftigkeit der Tarifverordnung, da der Taxitarif 2017 zu niedrig war.
Nach § 51 III PBefG i.V.m. § 39 II PBefG müssen die Beförderungsentgelte insbesondere unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmers, einer ausreichenden Verzinsung und Tilgung des Anlagekapitals und der notwendigen technischen Entwicklung angemessen sein. Dem Landkreis Anhalt-Bitterfeld steht bei der Festsetzung eines geeigneten Tarifs zwar ein sog. Beurteilungs- und Bewertungsspielraum zu. Um die Leistungsfähigkeit und Leistungswilligkeit der Beförderer zu erhalten, sind jedoch auch angemessene Gewinnspannen zu berücksichtigen. Der Tarif darf nicht nur kostendeckend sein. Nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts war eine solche Gewinnspanne im Taxitarif 2017 jedoch nicht hinreichend enthalten. Vielmehr ergab sich nach Auffassung des Gerichts aus den Erwägungen des Landkreises nichts, was auf eine hinreichende Berücksichtigung des erforderlichen Unternehmergewinns hindeutet. Richtig erkannte das Gericht, dass die Interessen des öffentlichen Verkehrs und des Gemeinwohls an erschwinglichen Taxitarifen erst zu berücksichtigen sind, wenn bereits eine hinreichende Gewinnspanne ermittelt und in die Taxitarifgestaltung einbezogen worden ist. Das bedeutet, die berechtigten Interessen der Taxenunternehmer an der Erzielung von Gewinnen und das Interesse der Allgemeinheit an der Gewährleistung bezahlbarer und ausreichender Personenbeförderung durch den nicht liniengebundenen Verkehr sind in Ausgleich zu bringen.
Gleichsam sah das Gericht auch eine Tarifanhebung in den im betreffenden Landkreis nachfrageschwachen Randzeiten (nachts zwischen 22 Uhr und 6 Uhr, an Sonn- und Feiertagen) nicht als geeignet an, zu einer Gewinnerhöhung bzw. zu einem Gewinn an sich zu führen.
Das Urteil hat für die Preise der Tariffestsetzung große Bedeutung, denn Gerichtsentscheidungen zu diesem Thema waren bislang die absolute Ausnahme. Zutreffend führt der Anwaltskollege Axel Ulmer daher im Branchenmagazin Taxi-Times (Ausgabe 3. Quartal 2022, S. 22) in einer Besprechung der Entscheidung aus:
„Folge des Urteils muss daher sein, die Tarife künftig entsprechend zu modellieren und nicht nach Gutdünken festzusetzen, denn ansonsten drohen Schadenersatzklagen. Folge sollte aber auch sein, die Möglichkeit zur Festsetzung von Mindestbeförderungsentgelten für Mietwagen nach § 51a PBefG zu nutzen, um einen fairen und transparenten Wettbewerb zu garantieren. Also alles mit Tarif, und zwar bedacht und fair!“
Mit der Nachfolgeverordnung für das Jahr 2019 hat sich der Landkreis im Übrigen am deutlich höheren Mitteldeutschen Taxitarif orientiert, welcher unter anderem in den Landkreisen Leipzig, Nordsachsen und dem Saalekreis gilt.
Da die Revision zum Bundesverwaltungsgericht nicht zugelassen wurde und der Landkreis eine Beschwerde hiergegen nicht eingelegt hat, ist das Urteil des Oberverwaltungsgerichts inzwischen rechtskräftig geworden.