„Der Zweifel ist der Beginn der Wissenschaft. Wer nichts anzweifelt, prüft nichts. Wer nichts prüft, entdeckt nichts. Wer nichts entdeckt, ist blind und bleibt blind.“ (Teilhard de Chardin, 1881-1955, frz. Theologe, Paläontologe u. Philosoph)

Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten – „Freie Fahrt für freie Bürger“

Die Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten ist nicht erst seit dem vergangenen Sommer „in aller Munde“. Jedoch ist das Thema seit dem „Probelauf“ von Leipzig, Berlin und Halle so aktuell, daß sich das Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung, München, in einem Gutachten für das Bundeswirtschaftsministerium damit befaßt hat. Daneben gibt es ein Gutachten der Sozialforschungsstelle Dortmund im Auftrag des Arbeitsministeriums, mit welchem die Auswirkungen des bestehenden Ladenschlußgesetzes auf die Beschäftigten untersucht wurden. Die Gerichte hatten vor dem Hintergrund des bestehenden Ladenschlußgesetzes den Vorstoß einzelner Städte in den neuen Bundesländern als rechtswidrig be-zeichnet und „gestoppt“. Für die weitere Diskussion stellt sich die Frage, worin eigentlich die Kernpunkte des Streites liegen: Zum einen geht es um die Frage, ob die Geschäfte vom Montag bis Samstag länger als bisher öffnen sollen/dürfen (nachstehend unter 1.). Zweiter Streitpunkt ist die grundsätzliche Öffnung der Läden auch am Sonntag (nachstehend unter 2.). Drittes Element der Diskussion ist der Arbeitnehmerschutz (nachstehend unter 3.). Überspannt wird diese Trias durch die Interessen und Wünsche der Verbraucher.

1. Keine Beschränkung der Öffnungszeiten vom Montag bis Samstag

Das Ifo-Institut empfahl, den Händlern von Montag bis Samstag eine 24-Stunden-Öffnung zu erlauben, und wies darauf hin, daß es für eine Einschränkung keine „ökonomisch stichhaltige Begründung“ gebe. Das Interesse der Verbraucher an einer weiteren Verlängerung der Öffnungszeiten sei trotz der bisherigen Liberalisierung ungebrochen. Die Reaktion der Bundesregierung war jedoch eindeutig: es bleibe bei einer gesetzlichen Regelung. Hierfür haben sich auch die Gewerkschaften mit dem Slogan „Hände weg vom Ladenschluß“ ausgesprochen. Der Hauptverband des deutschen Einzelhandels zeigte sich hinsichtlich längerer Öffnungszeiten an Werktagen diskussionsbereit. Wir gehen davon aus, daß auch die Bundesregierung und die Gewerkschaften die Inhalte des Ifo-Gutachtens nicht gänzlich unbeachtet lassen können. Im Fall einer Erweiterung der Öffnungszeiten von Montag bis Samstag durch Fortfall der Beschränkung wird sich keine „unkontrollierte Konsumlandschaft“ zu Lasten der Arbeitnehmer entwickeln. Vielmehr wird sich zeigen, daß die Händler entsprechend des Bedarfs ihrer Kundschaft ihre Läden in den Abendstunden öffnen und zu anderen Tageszeiten schließen werden, so wie es in anderen europäischen Ländern bereits gang und gäbe ist.
Wir fordern daher auch die Aufhebung der Beschränkung der Öffnungszeiten von Montag bis Samstag!

2. Öffnung am Sonntag

Bezüglich der im Streit stehenden Öffnung der Läden auch am Sonntag hat das Ifo-Institut keine konkrete Empfehlung zu Öffnungszeiten gegeben, vielmehr sollen diese Regelungen den Gemeinden überlassen werden. An den vier Adventssonntagen sollten die Geschäfte aber auf jeden Fall öffnen dürfen. Dem gegenüber stand für die Bundesregierung als Reaktion auf das Ifo-Gutachten fest, daß die Sonn- und Feiertagsruhe nicht angetastet werden. Wir sind der Auffassung, daß auch hier die Diskussion nicht stagnieren darf, die Verbraucher durch die Inanspruchnahme der Einkaufsmöglichkeiten im Sommer bspw. in Leipzig klar aufgezeigt haben, daß hier ein enormes Interesse besteht und der Bummel durch die Läden inzwischen ebenso als Bestandteil der Freizeitgestaltung anzusehen ist.
Wir fordern daher auch hier die Aufhebung der Beschränkung der Ladenöffnungszeiten und die Eröffnung von Möglichkeiten für die Kommunen, eigene interessengerechte Regelungen treffen zu können!

3. Schutz der Arbeitnehmer

Das geltende Ladenschlußgesetz dient dem Schutz der Arbeitnehmer. Vor diesem Hintergrund haben sich auch das Ifo-Institut und die Sozialforschungsstelle Dortmund mit den Auswirkungen auf die Arbeitnehmer und die Schaffung neuer Arbeitsplätze befaßt. Beide Institute kommen hier zu einem ernüchternden Ergebnis: die längeren Öffnungszeiten seit 1996 führten nicht zum Aufhalt des Rückgangs der Beschäftigung im Einzelhandel. Für uns stellt sich die Frage hier jedoch anders: Es könnte durchaus sein, daß die im geltenden Ladenschlußgesetz enthaltenen Restriktionen verfassungsrechtlich bedenklich sind. Am naheliegensten erscheint ein Verstoß des § 3 I Ziffer 1-4 i.V.m. § 1 I Ziffer 1 und des § 17 I Ladenschlußgesetz gegen Art. 12 I GG, der Berufsfreiheit. Davon könnte nicht nur die Berufsausübung der Gewerbetreibenden, sondern auch die Berufsausübung der zur Arbeitsaufnahme zu den – noch – Ladenschlußzeiten bereiten Arbeitnehmer betroffen sein. Daneben könnte ein unzulässiger Eingriff der oben genannten Vorschriften in das Grundrecht aller Verbraucher gemäß Art. 2 I GG auf freie Disposition über den Zeitpunkt der von ihnen zu tätigenden Vertrags-abschlüsse in Form ihrer Einkäufe in Betracht kommen. Weiterhin scheint ein Verstoß gegen das allgemeine Diskriminierungsgebot des Art. 3 I GG prüfungswürdig zu sein.

Wir fordern daher, die Diskussion nicht auf „Nebenschauplätzen“ zu führen, sondern die starren Regelungen des Ladenschlußgesetzes einer Prüfung ihrer Verfassungskonformität zu unterziehen!