Die Bundesministerin der Justiz hat der Justizministerkonferenz, welche vom 07. bis 09. Juni 1999 stattfand, einen „Bericht zur Rechtsmittelreform in Zivilsachen“ vorgelegt. Er wurde unter Federführung der seit 1997 tätigen Länder-Arbeitsgruppe „Rechtsmittel im zivilgerichtlichen Verfahren“ erarbeitet und hat eine Umgestaltung der Berufungsinstanz, des Zugangs zum Revisionsgericht sowie Änderungen im erstinstanzlichen Verfahren zum Inhalt. Ziel der Reform ist die Entlastung der Justiz, wobei die Qualität der Rechtsprechung und die Funktionsfähigkeit der Zivilkammern nicht beeinträchtigt werden sollen. Derzeit ist der Deutsche Anwaltsverein zur Stellungnahme aufgerufen. Wir wollen im folgenden die wichtigsten vorgesehenen Änderungen in der ZPO vor- und zur Diskussion stellen:
Ab dem 01. Januar 2000 soll eine neue Regelung hinsichtlich der Postulationsfähigkeit in Kraft treten. Sie ist Folge der Berufsrechtsnovelle 1994 (BGBl. 1994 I S. 2278) und der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 05. Dezember 1995 (BGBl. 1996 S. 563). Ihre Anwendung in den neuen Bundesländern ist zwischen dem Bundesministerium der Justiz und der Bundesrechtsanwaltskammer noch heftig umstritten. Wir möchten die neue Regelung vorstellen und auf den Streit hinweisen:
1. Vorgaben des § 78 ZPO
§ 78 ZPO statuiert den sogenannten Anwaltszwang in Verfahren vor den Landgerichten, allen Gerichten des höheren Rechtszuges und den Amtsgerichten als Familiengerichten. Gemeint ist damit die Notwendigkeit der Vertretung der Partei durch einen beim Prozeßgericht zugelassenen Rechtsanwalt. Der Anwaltszwang ist eine Ausnahme von dem Grundsatz, daß jeder Prozeßfähige (§ 51 ZPO) in eigener Person rechtswirksam handeln kann, postulationsfähig ist.
2. Bisherige Rechtslage
Die bisherige Rechtslage in Verfahren mit Anwaltszwang ist seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes (aaO.) in den alten und neuen Bundesländern inhaltlich unterschiedlich. In den alten Bundesländern sind die Mandanten bislang hinsichtlich einer Vertretung durch einen Rechtsanwalt in Anwaltsprozessen in ihrer Wahl des Anwaltes insoweit beschränkt, als dieser bei dem Prozeßgericht zugelassen sein muß. Berlin wird infolge der Unterstellung der östlichen Bezirke durch den Einigungsvertrag unter das gerichtsverfassungsrechtliche Regime der alten Bundesländer (BVerfG AnwBl 1994, 164) insgesamt wie ein altes Bundesland behandelt, vor dem Landgericht Berlin dürfen demgemäß nur die dort zugelassenen Anwälte auftreten. Demgegenüber können sich Prozeßbeteiligte in den neuen Bundesländern nach der Nichtigerklärung des § 78 I und II ZPO wegen Unvereinbarkeit mit Art. 12 I GG durch das Bundesverfassungsgericht in Verfahren vor den Land- und Amtsgerichten von jedem Rechtsanwalt, der bei einem der Amts- und Landgerichte dieser Länder zugelassen ist, vertreten lassen.
3. Zukünftige Rechtslage
Die zukünftige Rechtslage führt diese gespaltenen Postulationsfähigkeit ab dem 01. Januar 2000 in anderer Form fort. Sie soll ihrerseits ab dem 01. Januar 2005 aufgehoben werden. Im Einzelnen: Für die Übergangszeit ab dem 01. Januar 2000 bis zum 31. Dezember 2004 besitzen Rechtsanwälte in den alten Bundesländern und Berlin die Postulationsfähigkeit vor Land- und Amtsgerichten dieser Länder. Die lokale Beschränkung auf die Gerichte der Zulassung entfällt. Umstritten ist die Neuregelung der Postulationsfähigkeit für den Zeitraum vom 01. Januar 2000 bis zum 31. Dezember 2004 in den neuen Bundesländern. Das Bundesministerium der Justiz vertritt in einem Schreiben vom 30. Juni 1999 die Auffassung, daß Rechtsanwälte, die in den neuen Bundesländern zugelassen sind, bis zum 31. Dezember 2004 nicht vor einem Gericht der alten Bundesländer – damit auch Berlin – postulationsfähig sind. Die Rechtsanwaltskammern der neuen Bundesländer vertreten zum Teil die Auffassung, daß die in den neuen Bundesländern zugelassenen Rechtsanwälte ab dem 01. Januar 2000 im gesamten Bundesgebiet vor Land- und Familiengerichten auftreten können. Die Rechtsanwaltskammer Sachsen (Rundbrief 2/99) hat noch keine endgültige Position bezogen. Zum 01. Januar 2005 wird die Beschränkung der Postulationsfähigkeit im gesamten Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aufgehoben. Jeder Beteiligte eines Verfahrens in Zivilsachen vor allen Gerichten erster Instanz kann sich uneingeschränkt von dem Rechtsanwalt seiner Wahl vertreten lassen.
4. Ausblick
Nach Auskunft der Rechtsanwaltskammer Berlin haben CDU und CSU einen Änderungsvorschlag beim Bundestag eingebracht, der die Postulationsfähigkeit aller Rechtsanwälte im gesamten Bundesgebiet zum Inhalt hat. Die Kommentare in der Literatur (AnwBl 1999, 550 f.) zielen in die selbe Richtung. Im Ergebnis darf mit Spannung erwartet werden, ob in der noch verbleibenden Zeit bis zum Jahreswechsel Klarheit geschaffen werden kann. Sollte dies nicht geschehen, wird es Sache der Gerichte sein, die Frage der Postulationsfähigkeit zu beantworten.