„Der Zweifel ist der Beginn der Wissenschaft. Wer nichts anzweifelt, prüft nichts. Wer nichts prüft, entdeckt nichts. Wer nichts entdeckt, ist blind und bleibt blind.“ (Teilhard de Chardin, 1881-1955, frz. Theologe, Paläontologe u. Philosoph)

Rechtsanwälte Füßer & Kollegen empfehlen Klärung der Verfassungskonformität des § 18 II KAG LSA durch das Bundesverfassungsgericht

Mit Urteil vom 24. Januar 2017 ‑ LVG 1/16 ‑ hat das Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt für Recht erkannt, dass die kommunalabgabenrechtliche Vorschrift des § 18 II KAG LSA mit der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt vereinbar ist und sich damit in die Riege zahlreicher Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte anderer Bundesländer eingereiht, die den Landesgesetzgebern für Regelungen über zeitliche Grenzen der Festsetzbarkeit vorteilsausgleichender kommunaler Abgaben eine äußerst „lange Leine“ gelassen haben. Dass diese verfassungsrechtliche Frage für das Land Sachsen-Anhalt von politischer wie auch wirtschaftlicher Brisanz ist, zeigt ein Blick auf die Zahlen: Laut dem Verband der Deutschen Grundstücksnutzer (VDGN) haben die Gemeinden und Abwasserzweckverbände allein im Jahr 2015 etwa 78.000 Bescheide mit einem Festsetzungsvolumen von 77 Millionen Euro erlassen, deren Rechtmäßigkeit von der Verfassungskonformität des § 18 II KAG LSA abhängen.

Ganz auf der zuvor vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen Anhalts im Beschluss vom 17. Februar 2016 – 4 L 119/15 ‑ vorgezeichneten Linie hoben die Dessauer Richter in der Urteilsbegründung hervor, die 10-jährige Ausschlussfrist des § 13b KAG LSA und die im Extremfall eine Beitragserhebung auch noch nach 24,5 Jahren ermöglichende Übergangsfrist des § 18 II KAG LSA würden sich nicht widersprechen, sondern sich vielmehr ganz im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergänzen. Insbesondere könnten sich Grundstückseigentümer nicht auf ein geschütztes Vertrauen berufen. In Sachsen-Anhalt habe man auch vor Inkrafttreten der §§ 13b, 18 II KAG LSA im Jahr 2014 damit rechnen müssen für Vorteile durch Beiträge in Anspruch genommen zu werden. Ein Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze sei unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu erkennen.

Mit der Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften Sachsen-Anhalts über die zeitlichen Grenzen der Festsetzbarkeit vorteilsausgleichender kommunaler Abgaben sind die Rechtsanwälte Füßer & Kollegen im Rahmen von zwei Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Halle befasst. Die Grundstücke unserer Mandantinnen wurden bereits im Jahr 1996 an die zentralen öffentlichen Abwasserbeseitigungseinrichtungen angeschlossen. Kurz vor Ablauf des Jahres 2015 erreichten die Mandantinnen dann ‑ gleichsam aus heiterem Himmel ‑ Beitragsbescheide, in denen Beiträge für die Herstellung der Abwasserbeseitigungseinrichtungen in sechsstelliger Höhe festgesetzt wurden.

In einem im Auftrag der Mandantinnen gefertigten Gutachten zur Verfassungskonformität der Regelungen des Kommunalabgabengesetzes des Landes Sachsen-Anhalts zu Festsetzungsverjährung und Festsetzungsausschluss sind wir hinsichtlich der Frage der Vereinbarkeit des § 18 II KAG LSA mit rechtsstaatlichen Grundsätzen anders als die Mehrzahl der Richter des Landesverfassungsgerichts Sachsen-Anhalts zu dem Ergebnis gekommen, dass der Gesetzgeber dem verfassungsrechtlich vorgegebenen und vom Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 5. März 2013 herausgearbeiteten Auftrag nicht nachgekommen ist. In dem Rechtsgutachten heißt es dazu unter anderem:

„Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der zeitlichen Obergrenze zwar einen weiten Gestaltungsspielraum eingeräumt. Es hat jedoch auch eindeutig klargestellt, dass eine Verjährung der Beitragsansprüche erst „Jahrzehnte“ nach Eintritt der Vorteilslage eine einseitige Lösung des Interessenkonfliktes zulasten des Bürgers darstellt. Es fehlt insofern für § 18 II KAG-LSA an einem einleuchtenden, die gesetzliche Differenzierung rechtfertigenden Grund. Im Vordergrund stand für den Gesetzgeber Sachsen-Anhalts – wie sich aus der Gesetzesbegründung ergibt – vielmehr das rein fiskalische Interesse der Kommunalverwaltungen und Abwasserzweckverbände an der Sicherung sämtlicher noch offener Beitragsfälle, welches das Bundesverfassungsgericht bereits ausdrücklich als nachrangig gegenüber dem Interesse der Bürger, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann, qualifiziert hatte. An welcher Stelle der Gesetzgeber Sachsen-Anhalts die Interessen der Beitragsschuldner bei der Festlegung der Übergangsfrist auf bis zu 24,5 Jahre – und damit auf mehr als zwei Jahrzehnte – berücksichtigt haben soll, ist aus den Unterlagen zum Gesetzgebungsverfahren nicht ersichtlich. Die Unausgewogenheit dieser Übergangsfrist wird noch deutlicher, vergegenwärtigt man sich, dass der Gesetzgeber durch die im Vergleich zu anderen Bundesländern verhältnismäßig späte Änderung der Rechtslage mit dem Änderungsgesetz vom 17. Dezember 2014 mit Wirkung zum 24. Dezember 2014 den zur Abgabenerhebung berechtigten Stellen seit ergehen des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts am 5. März 2013 schon eine Übergangsfrist von mehr als eineinhalb Jahren eingeräumt hatte. Zwar galt die Frist bis zum 1. April 2014 zur gesetzlichen Bestimmung einer zeitlichen Obergrenze im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 allein dem bayerischen Gesetzgeber. Die Parallelität der Rechtslage Sachsen-Anhalts und die Allgemeingültigkeit der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts ließen jedoch keinen Zweifel daran, dass auch der Gesetzgeber Sachsen-Anhalts zeitnah tätig werden müsste. Mit der Übergangsfrist des § 18 II KAG-LSA segnet der Gesetzgeber Sachsen-Anhalts die – in den meisten Fällen rechtlich und tatsächlich unbegründete – Trägheit der Verwaltung nachträglich ab. Dem Grunde nach stellt die Übergangsregelung des § 18 II KAG-LSA eine Aufrechterhaltung des Zustandes dar, welchen das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 5. März 2013 für verfassungswidrig erklärt hatte, und dies weit über den Zeitraum von etwa einem Jahr hinaus, den das Bundesverfassungsgericht in dem Beschluss vom 5. März 2013 für den Gesetzgeber zur Neuregelung gerade noch für verfassungsrechtlich vertretbar hielt.“

Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Beschluss vom 5. März 2013 ‑ 1 BvR 2457/08 ‑ zu der unbegrenzten Festsetzbarkeit vorteilsausgleichender kommunaler Abgaben nach dem Bayerischen Kommunalabgabengesetz unmissverständlich aufgezeigt, wo die Grenzen der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit liegen. So heißt es in der Entscheidungsbegründung der Karlsruher Richter:

„Auch für die Erhebung von Beiträgen, die einen einmaligen Ausgleich für die Erlangung eines Vorteils durch Anschluss an eine Einrichtung schaffen sollen, ist der Gesetzgeber verpflichtet, Verjährungsregelungen zu treffen oder jedenfalls im Ergebnis sicherzustellen, dass diese nicht unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Die Legitimation von Beiträgen liegt – unabhängig von der gesetzlichen Ausgestaltung ihres Wirksamwerdens – in der Abgeltung eines Vorteils, der den Betreffenden zu einem bestimmten Zeitpunkt zugekommen ist (vgl. BVerfGE 49, 343 <352 f.>; 93, 319 <344>). Je weiter dieser Zeitpunkt bei der Beitragserhebung zurückliegt, desto mehr verflüchtigt sich die Legitimation zur Erhebung solcher Beiträge. Zwar können dabei die Vorteile auch in der Zukunft weiter fortwirken und tragen nicht zuletzt deshalb eine Beitragserhebung auch noch relativ lange Zeit nach Anschluss an die entsprechende Einrichtung. Jedoch verliert der Zeitpunkt des Anschlusses, zu dem der Vorteil, um dessen einmalige Abgeltung es geht, dem Beitragspflichtigen zugewendet wurde, deshalb nicht völlig an Bedeutung. Der Bürger würde sonst hinsichtlich eines immer weiter in die Vergangenheit rückenden Vorgangs dauerhaft im Unklaren gelassen, ob er noch mit Belastungen rechnen muss. Dies ist ihm im Lauf der Zeit immer weniger zumutbar. Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebietet vielmehr, dass ein Vorteilsempfänger in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen kann, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen muss.“

Und weiter zur bayerischen Regelung:

„Der Gesetzgeber hat in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG den erforderlichen Ausgleich zwischen Rechtssicherheit auf der einen Seite und Rechtsrichtigkeit und Fiskalinteresse auf der anderen Seite verfehlt. Dadurch, dass Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG den Verjährungsbeginn bei der Heilung ungültiger Abgabensatzungen ohne zeitliche Obergrenze auf den Ablauf des Kalenderjahres festlegt, in dem die gültige Satzung bekannt gemacht worden ist, löst der Gesetzgeber den Interessenkonflikt einseitig zu Lasten des Bürgers. Zwar schließt er damit die Verjährung von Beitragsansprüchen nicht völlig aus. Indem er den Verjährungsbeginn jedoch ohne zeitliche Obergrenze nach hinten verschiebt, lässt er die berechtigte Erwartung des Bürgers darauf, geraume Zeit nach Entstehen der Vorteilslage nicht mehr mit der Festsetzung des Beitrags rechnen zu müssen, gänzlich unberücksichtigt. Die Verjährung kann so unter Umständen erst Jahrzehnte nach dem Eintritt einer beitragspflichtigen Vorteilslage beginnen.“

Kurz darauf hat sich das Oberverwaltungsgericht des Landes Mecklenburg-Vorpommern in seinem Urteil vom 1. April 2014 ‑ 1 L 142/13 ‑ mehr als kritisch zur „Verflüchtigungsrechtsprechung“ des Bundesverfassungsgerichts geäußert. Abgesehen davon, dass die Rechtsprechung für das Kommunalabgabengesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern ohne Bedeutung sei, würden die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur Verflüchtigung der Legitimation der Beitragserhebung zu kurz greifen und der Komplexität der Rechtsbeziehungen im Bereich der Refinanzierung leitungsgebundener öffentlicher Einrichtungen nicht gerecht werden. Selbst unter Anwendung der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten verfassungsrechtlichen Maßstäbe sah das Oberverwaltungsgericht keinen Verstoß gegen das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit.

Das Bundesverwaltungsgericht wies das Oberverwaltungsgericht des Landes Mecklenburg-Vorpommerns in seinem Revisionsurteil vom 15. April 2015 ‑ 9 C 19/14 ‑ zwar mahnend darauf hin, dass der verfassungsrechtliche Grundsatz der Rechtssicherheit für das gesamte Beitragsrecht, und damit auch für das Kommunalabgabengesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern gelte, weshalb die vom Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 5. März 2013 vorgegebene Auslegung der Art. 2 I i. V. m. Art. 20 III GG auch für das Kommunalabgabenrecht Mecklenburg-Vorpommerns bindend sei. Es hielt das Urteil des Oberverwaltungsgerichts aber aus anderen Gründen für rechtmäßig. § 9 III 1 Hs. 2 KAG M-V sei mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit zwar nicht vereinbar, weil die Regelung eine zeitliche Höchstgrenze vermissen lasse. Dieser Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit wirke sich jedoch erst auf den Zeitraum nach Ablauf der Übergangsfrist des § 12 II 1 Hs. 2 KAG- MV am 31. Dezember 2008 aus, da die Beitragsschuldner zumindest bis zu diesem Zeitpunkt mit einer Heranziehung zur Beitragszahlung rechnen mussten und dieser Zeitraum von 18 Jahren auch zumutbar gewesen sei. Dies begründete der 9. Senat wie folgt:

„Jedenfalls für Beiträge, die nach dem Kommunalabgabengesetz erhoben werden, dürfte zur Bestimmung der erforderlichen Höchstgrenze auch ein Rückgriff auf die 30-jährige Verjährungsfrist des § 53 Abs. 2 VwVfG M-V – sowohl im Wege der Analogie (so für Erschließungsbeiträge VGH München, Urteil vom 14. November 2013 – 6 B 12.704 – BayVBl. 2014, 241 <242>) als auch vermittelt über den Grundsatz von Treu und Glauben (so für sanierungsrechtliche Ausgleichsbeiträge BVerwG, Urteil vom 20. März 2014 – 4 C 11.13 – BVerwGE 149, 211 Rn. 28, 31 ff.) – ausscheiden. Denn es ist Aufgabe des Gesetzgebers, in Wahrnehmung seines weiten Gestaltungsspielraums einen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen einerseits der Allgemeinheit an der Beitragserhebung und andererseits der Beitragspflichtigen an einer zeitlich nicht unbegrenzten Inanspruchnahme zu schaffen (BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 – BVerfGE 133, 143 Rn. 42). Mit diesem Gestaltungsauftrag ist – nicht zuletzt angesichts der Vielzahl der vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigten, jedoch gerade nicht den Verweis auf die Höchstverjährungsfrist einschließenden Lösungsmöglichkeiten wie auch der Unterschiedlichkeit der in einzelnen Ländern erlassenen und zudem deutlich kürzeren Ausschlussfristen – der schematische Rückgriff auf § 53 Abs. 2 VwVfG M-V wohl unvereinbar, zumal die Vorschrift gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG M-V nicht für Verfahren gilt, die – wie vorliegend – nach den Vorschriften der Abgabenordnung durchzuführen sind.“

Und weiter:

„Die (…) rund 18-jährige Zeitspanne, innerhalb derer gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V die Erhebung von Anschlussbeiträgen für die Schmutzwasserbeseitigung jedenfalls möglich war, überschreitet die Grenze des verfassungsrechtlich Zumutbaren nicht. Insbesondere hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 – (BVerfGE 133, 143) nicht entschieden, schon eine 12-jährige Dauer verletze den Grundsatz der Rechtssicherheit (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. September 2014 – 9 B 22.14 – juris Rn. 37). Der Verfassungsbeschwerde wurde nicht wegen der im konkreten Fall zwischen der Vorteilserlangung und der beitragsrechtlichen Heranziehung verstrichenen Zeit, sondern deshalb stattgegeben, weil das bayerische Landesrecht überhaupt keine zeitliche Grenze für die Abgabenerhebung bestimmte. Für deren Festlegung steht dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu (BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 – BVerfGE 133, 143 Rn. 46). Angesichts der besonderen Herausforderungen der Wiedervereinigung, welche nicht nur durch einen vollständigen Wechsel des Rechtsregimes, sondern auf kommunaler Ebene zusätzlich durch eine Vielzahl von gleichzeitig und mit beschränkten kommunalen Ressourcen zu bewältigenden Aufgaben wie einem grundlegenden Verwaltungsumbau, der Herstellung kommunaler Strukturen einschließlich der notwendigen Rechtsgrundlagen sowie der Instandhaltung, Sanierung und Fortentwicklung der Infrastruktur geprägt waren, wahrt § 12 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 KAG M-V die Grenzen des gesetzgeberischen Ermessens.“

Da dem Urteil des Oberverwaltungsgericht des Landes Mecklenburg-Vorpommern ein Beitragsbescheid zugrunde lag, der vor Ablauf der vom Gesetzgeber bestimmten Mindestgrenze ergangen war, wirkte sich der vom Gericht festgestellte Verfassungsverstoß im konkreten Fall nicht aus. Das im Anschluss an das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts angerufene Bundesverfassungsgericht nahm die Verfassungsbeschwerde der Beitragsschuldnerin ‑ einer von der öffentlichen Hand geherrschten GmbH ‑ mangels Grundrechtsfähigkeit und folglich fehlender Beschwerdebefugnis mit Beschluss vom 3. November 2015 ‑ 1 BvR 1766/15 ‑ nicht zur Entscheidung an, sodass eine Auseinandersetzung der Karlsruher Richter mit der Verfassungskonformität einer Festsetzungshöchstfrist von 18 Jahren weiter aussteht.

Im Urteil vom 6. September 2016 ‑ 1 L 212713 ‑ hat sich das Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vorpommern erneut ‑ fast schon spöttisch ‑ zu der Verflüchtigungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geäußert. Das vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Rechtsinstitut der „Verflüchtigung“ greife im konkreten Fall nicht durch. In den Entscheidungsgründen heißt es:

„Das vom BVerfG im Beschluss vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 –, BVerfGE 133, 143 = NVwZ 2013 S. 1004, entwickelte Rechtsinstitut der „Verflüchtigung“ greift im Ergebnis nicht durch.“

Der Senat beruft sich – erstaunlicherweise ‑ auf das vorstehend zitierte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. April 2015. Den dort formulierten Anforderungen habe der Gesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommerns – so das OVG fast trotzig ‑ jedenfalls mit der zuletzt getroffenen Bestimmung der 20-jährigen, bis zum Ablauf des Jahres 2000 gehemmten Verjährungsfrist genügt. Zu dem vom Bundesverfassungsgericht aufgeworfenen und vom Bundesverwaltungsgericht angewendeten Verflüchtigungsgedanken heißt es weiter:

„Nach den bisherigen Regelungen war lediglich keine zeitliche Obergrenze für eine Verjährung eines Anschlussbeitrages geregelt. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass der Anschlussbeitrag verjährt wäre. Da das BVerwG in seinen Urteilen vom 15. April 2015 dem Gesetzgeber gerade die Möglichkeit eröffnet, entsprechend seiner Gesetzgebungskompetenz eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen und die Länge der Verjährungsfrist zu bestimmen, hätte eine diesbezügliche Neuregelung ausgereicht. Gegenstand des Rechtsstreits um das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit („Verflüchtigungsrechtsstreit“) war nicht etwa eine gesetzliche Regelung, die verfassungswidrig sei, sondern die Tatsache, dass eine Gesetzeslücke gesehen wurde, die die Anwendung des im Übrigen verfassungsgemäßen KAG M-V ab einem gewissen vom Gesetzgeber festzulegenden Stichtag verfassungswidrig machen würde.“

Wir halten die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts zu den zeitlichen Grenzen der Festsetzbarkeit vorteilsausgleichender kommunaler Abgaben nach wie vor für richtig und auch für Beurteilung der Verfassungskonformität der Regelungen in §§ 13b, 18 II KAG LSA maßgebend. Die Frage, ob eine Zeitspanne von 18 Jahren dem verfassungsrechtlichen Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit gerecht wird ist mangels endgültiger Klärung durch das Bundesverfassungsgericht ebenso als offen anzusehen wie die Frage, ob für das Beitragsrecht unbeschadet gesetzlicher Regelungen nicht eine absolute Obergrenze der Festsetzbarkeit verfassungsunmittelbar gelten muss. Insbesondere kann nach unserer Auffassung hinsichtlich der Fristlänge nicht auf die Verjährungshöchstfrist des Bürgerlichen Gesetzbuchs von 30 Jahren zurückgegriffen werden. Denn während das Privatrecht die Rechtsbeziehungen rechtlich gleichgestellter Rechtssubjekte kodifiziert, handelt es sich bei der Erhebung kommunaler Abgaben um die Ausübung hoheitlicher Staatsgewalt gegenüber Privaten, mithin ein Über- und Unterordnungsverhältnis, kein Gleichordnungsverhältnis. Die in das Verwaltungsverfahrensrecht in § 53 II VwVfG übernommene äußerste Grenze von 30 Jahren kann daher nicht unbesehen auf das Kommunalabgabenrecht übertragen werden, zumal auf die Durchführung der in den Kommunalabgabengesetzen vorgesehenen hoheitlichen Tätigkeiten regelmäßig nicht das Verwaltungsverfahrensrecht, sondern die sachnähere Abgabenordnung ‑ wenn auch nur in entsprechender Handhabung ‑ anzuwenden ist, in der man eine Verjährungshöchstfrist von 30 Jahren vergebens sucht. Im Strafrecht, bei dem es sich um einen Extremfall der Wahrnehmung staatlicher Befugnisse handelt, ist eine Verjährungsfrist von 30 Jahren lediglich für solche Straftaten vorgesehen, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind, wobei auch im Strafrecht für die Hemmung der Verjährung äußerste Grenzen gelten. Die Erlangung eines Vorteils durch Anschluss eines Grundstückes an öffentliche Abwasserbeseitigungseinrichtungen wird damit niemand ernsthaft vergleichen wollen.

Zumindest den drei dissentierenden Mitgliedern ist insofern beizupflichten, als sie § 18 II KAG LSA in ihrem Sondervotum für verfassungswidrig erklären, soweit die Vorschrift die Erhebung von Anschlussbeiträgen für Maßnahmen ermöglicht, die bis zum 31. Dezember 1992 abgeschlossen waren. Bei der Frage, ob der Beitragspflichtige Vertrauensschutz genießt, weil er mit einer Änderung der gesetzlichen Regelungen nicht rechnen musste, kann es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht auf eine kreative Auslegung der Vorschriften durch die Rechtsprechung ankommen. Entscheidend ist vielmehr wie der durchschnittlich vernunftbegabte Bürger den Wortlaut des § 6 VI KAG LSA 1991 verstehen durfte, weshalb der Erörterung des Vertrauensschutzbedürfnisses in erster Linie eine streng am Wortlaut orientierte Auslegung zu Grunde zu legen ist. In dem bereits erwähnten Rechtsgutachten hatten wir auch dazu Stellung bezogen:

„Das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalts verweist in seiner Rechtsprechung unermüdlich darauf, dass der Gesetzgeber mit der Gesetzesänderung im Jahre 1997 lediglich die Linie der bisherigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte des Landes Sachsen-Anhalt zu § 6 VI 2 KAG-LSA a. F. nachgezogen habe und die Ergänzung des Erfordernisses einer (wirksamen) Beitragssatzung für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht lediglich deklaratorischen Charakter gehabt habe. (…) In sämtlichen Entscheidungen, auf die verwiesen wird, hat das Oberverwaltungsgericht ex post behauptet, es habe § 6 VI KAG-LSA a. F. bereits vor der Gesetzesänderung in ständiger Rechtsprechung in der durch die Gesetzesänderung vom Gesetzgeber klarstellend nachvollzogenen Weise ausgelegt, ohne dabei auf eine einzige Entscheidung aus der Zeit vor der Gesetzesänderung hinzuweisen. Es entsteht daher der Eindruck, das Oberverwaltungsgericht habe die vom Gesetzgeber vollzogene materielle Rechtsänderung nachträglich legalisieren wollen, indem es im Nachgang der Änderung erklärte, dass es auch die alte Vorschrift in diesem Sinne verstanden hätte, wenn es denn damit befasst gewesen wäre. (…) Da die vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalts unablässig beschworene ständige Rechtsprechung zumindest nicht ersichtlich ist, kommt es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darauf an, wie die Rechtsnorm nach den klassischen Auslegungsmethoden zu verstehen war. Stellt man allein auf den Wortlaut des § 6 VI KAG-LSA a. F. ab, bleibt kein Zweifel, dass es nach der bis in das Jahr 1997 geltenden Rechtlage in Sachsen-Anhalt für das Entstehen der Beitragspflicht allein auf die Beendigung der beitragspflichtigen Maßnahme gleichsam in einem physisch-realen Sinn ankam. Dem Gesetzeswortlaut ließ sich nicht etwa entnehmen, dass der Beitrag der Höhe nach bestimmbar sein müsste oder die beitragsfähige Maßnahme ihrem Umfang nach satzungsmäßig umschrieben sein müsste. Die sachliche Beitragspflicht entstand gemäß § 6 VI KAG-LSA a. F. – gleichsam „ohne Wenn und Aber“ – bereits mit Abschluss der Herstellung der Anlage. Auch unter teleologischen Gesichtspunkten war für das Entstehen der Beitragspflicht eine Beitragssatzung nicht zwingend erforderlich. Zu unterscheiden ist in diesem Zusammenhang zwischen dem Entstehen der Beitragspflicht und der Möglichkeit der Beitragserhebung. (…) In historischer Hinsicht ist im Übrigen zu bedenken, dass der Gesetzgeber des Landes Sachsen-Anhalts mit § 6 VI KAG-LSA a. F. die niedersächsischen kommunalabgabenrechtlichen Vorschriften zum Entstehen der Beitragspflicht übernommen hat. (…) Als sich der Gesetzgeber des Landes Sachsen-Anhalts im Jahr 1991 dazu entschlossen hatte, unter anderem diese Vorschrift des niedersächsischen Kommunalabgabegesetzes als Vorbild für sein Kommunalabgabengesetz zu nehmen, entsprach es bei den niedersächsischen Verwaltungsgerichten bereits gefestigter Rechtsprechung, dass es für das Entstehen der Beitragspflicht nicht nur auf die bauliche Fertigstellung der öffentlichen Einrichtung ankomme, sondern darüber hinaus auch darauf, dass im Zeitpunkt der Fertigstellung eine gültige Satzung vorliege. (…) Der Lauf der Festsetzungsverjährungsfrist wurde freilich nach gefestigter Rechtsprechung der niedersächsischen Gerichte unabhängig von dem formellen Inkrafttreten einer wirksamen Beitragssatzung mit der Beendigung der beitragsfähigen Maßnahme in Gang gesetzt. (…) Der Neuregelung durch § 6 VI 2 KAG-LSA n. F. kommt daher konstitutive Wirkung zu, da der Gesetzgeber mit der Gesetzesänderung – wie es in der Gesetzesbegründung heißt – diese Auslegung des § 6 VI KAG-LSA a. F. ausschließen wollte und sich gezwungen sah, den Zeitpunkt der Entstehung der sachlichen Beitragspflicht durch das zusätzliche Erfordernis des Inkrafttretens einer Beitragssatzung hinauszuschieben.“

Insofern sehen wir einer Klärung der Verfassungskonformität des § 18 II KAG LSA durch das Bundesverfassungsgericht mit Interesse entgegen und verfolgen die fachliche Diskussion mit Spannung.

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