„Der Zweifel ist der Beginn der Wissenschaft. Wer nichts anzweifelt, prüft nichts. Wer nichts prüft, entdeckt nichts. Wer nichts entdeckt, ist blind und bleibt blind.“ (Teilhard de Chardin, 1881-1955, frz. Theologe, Paläontologe u. Philosoph)

Der Heimträger als Erbe eines Altenheimbewohners

- ein "Ding der Unmöglichkeit"

von Klaus Füßer
veröffentlicht in „Altenheim“ 2001, Heft 4, S. 26 ff.

§ 14 Abs. 1 HeimG verbietet über das Pflegeleistungsentgelt hinausgehende Leistungen des Heimbewohners an den Heimträger. Da sich der ältere Mensch gerade im Moment seiner Hilfebedürftigkeit in die Obhut der pflegenden Institution begibt, befürchten Gesetzgeber und Gerichte, der Heimträger könnte die Abhängigkeit des älteren Menschen finanziell ausnutzen. Außerdem bestünde durch derartige Zuwendungen die Gefahr der unterschiedlichen (privilegierenen oder benachteiligenden), sachlich nicht gerechtfertigten Behandlung einzelner Heimbewohner. Gegen das Verbot verstoßende Rechtsgeschäfte sind nach herrschender Rechtsprechung nichtig (§ 134 BGB). All dies gilt nur dann nicht, wenn die Heimaufsichtsbehörde zuvor nach § 14 Abs. 6 HeimG eine Ausnahmegenehmigung erteilt hat.

Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass diese Schutzvorkehrungen das Selbstbestimmungsrecht (bzw. ggf. die Testierfreiheit) des Heimbewohners zugleich einschränken. Denn dieser kann nicht mehr ohne weiteres zugunsten des Heimträgers verfügen bzw. muss die Kontrolle der Heimaufsichtsbehörde über sich ergehen lassen. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) sind diese Einschränkung allerdings deshalb und insofern verfassungsgemäß , weil zugunsten des Heimbewohners trotz des ein Ermessen der Behörde nahelegenden Wortlauts ein Anspruch auf Erteilung der Ausnahmegenehmigung bei Vorliegen der Voraussetzungen (§ 14 Abs. 6 HeimG) bestehe.

Ob – und wenn ja: wie – der Weg über die Ausnahmegenehmigung gerade in dem für Heimbewohner attraktiven Fall der Vermögenszuwendung von Todes wegen wirklich gangbar ist, ist allerdings die Frage, zumal die Verwaltungspraxis der verfassungsgerichtlichen Erkenntnis nachhinkt (dazu sogleich; vgl. schon Füßer: ALTENHEIM 11/1998, 22 ff.). In jedem Fall hat der errichtete Kontrollmechanismus gerade den Effekt, den das Heimgesetz zu bekämpfen sucht (vgl. § 2 HeimG): Mit dem Einzug in die „totale Institution“ Heim treten – selbst in der hospitalisierungsarmen Form des „betreuten Wohnens“ – danach nicht nur faktische Autonomieverluste ein. Vielmehr werden diese von erster rechtlicher Entmündigung begleitet. Dies wirf die Frage auf, wie Autonomiespielräume des Heimbewohners auch hinsichtlich der Testierfreiheit bewahrt werden können. Diesen soll nachfolgend nachgespürt werden.

Der „typische“ Fall: Das „Testament im Heim“
Nach eingefahrener Rechtsprechung stellen auch Verfügungen von Todes wegen, in denen der Heimbewohner der Pflegeeinrichtung Teile seines Vermögens zuwendet, geldwerte Leistungen i.S.d. § 14 Abs. 1 HeimG dar. Zwar ist der Vermögensvorteil mit dem Testament weder „versprochen“ noch aktuell „gewährt“, weil ein Testament jederzeit frei widerruflich ist (§ 2253 BGB). Dies macht schließlich auch die Attraktivität dieser Form der Zuwendung für den Heimbewohner aus: Zu Lebzeiten verpflichtet er sich gerade zu nichts, kann trotzdem denen etwas Gutes tun, die sich um ihn zuletzt gekümmert haben. Um auch auf solche Fälle trotzdem § 14 HeimG anwenden zu können, interpretiert die Rechtsprechung den Begriff des „Sich-Gewähren-lassens“ denkbar weit: es genüge eine „faktische Einigung“ derart, dass „die letztwillige Zuwendung dem Heimträger zu Lebzeiten des Heimbewohners bekannt geworden ist, der Heimbewohner von dessen Kenntnis weiß und aus dessen Verhalten bzw. den gesamten Umständen den Schluß ziehen muß, der Heimträger sei mit der Zuwendung von Todes wegen einverstanden“.
Gerechtfertigt wird die weite Auslegung damit, dass auch in einem derartigen Fall die eingangs aufgeführten gesetzgeberischen Gründe für den Erlass des § 14 HeimG eingreifen.

Fraglich ist damit, wie in diesen Fällen zur Wahrung der Autonomie des Bewohners die in § 14 Abs. 6 HeimG genannte Möglichkeit der Ausnahmegenehmigung genutzt werden kann. Allerdings kann eine solche Ausnahmegenehmigung nur unter zwei Voraussetzungen erteilt werden: Der Schutz der Bewohner darf die Aufrechterhaltung der Verbote nicht erfordern und die Leistungen dürfen noch nicht versprochen oder gewährt worden sein. Da der Heimträger in der typischen Fallkonstellation Kenntnis von dem Testament hat bzw. diesen von der Rechtsprechung regelmäßig anhand minimaler Anzeichen unterstellt wird, wäre – wenn man den Begriff des Gewährenlassens hier ebenso weit auslegt wie in § 14 Abs. 1 HeimG – die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung praktisch immer ausgeschlossen.

Das wäre aber mit Rücksicht auf die Testierfreiheit (Art. 14 GG) nicht hinnehmbar. Um ein „Gewährenlassen“ zu vermeiden, konstruiert das berliner Kammergericht deshalb eine „Reservations“-Lösung: Kläre der Heimträger den Heimbewohner im Anschluss an die Kenntniserlangung über die durch § 14 Abs. 1 HeimG gegebene Rechtslage auf und weise auf die Notwendigkeit der Einholung einer Ausnahmegenehmigung hin, so fehle es an dem voluntativen Element des Einverständnisses und damit an einem „gewährenlassen“; eine Ausnahmegenehmigung könne noch beantragt und erteilt werden. Übersehen wird vom KG allerdings eine Konsequenz dieser Konstruktion: Kommt es nach der Reservationserklärung nicht zur Durchführung (oder zum Abschluss) des Verfahrens gemäß § 14 Abs. 6 HeimG, bspw. weil der Bewohner nach Antragstellung stirbt, müsste es an sich dabei bleiben, dass es an dem für ein „Gewährenlassen“ erforderlichen Einverständnis aufgrund der verweigerten Annahmeerklärung fehlt. Ein Verstoß gegen das Verbot in § 14 Abs. 1 HeimG wäre nicht gegeben, die Nichtigkeitssanktion des § 134 BGB würde nicht greifen. Die Folge: Der mit dieser Überlegung bezweckte Schutz der Heimbewohner würde leerlaufen. Von daher überzeugt diese Sichtweise nicht. Effektiver Schutz vor Selbstschädigung durch die Errichtung eines Testaments im Heim ist mithin nur durch eine – zunächst – unüberwindliche Verbotsvorschrift möglich, so wie sich auch das BVerfG die Handhabung vorstellt. Danach ist das Verfahren nach § 14 Abs. 6 HeimG zwingend vor Errichtung der letztwilligen Verfügung bzw. vor Kenntniserlangung des Heimträgers durchzuführen. Denn in dem Moment, in dem der Heimträger von dem Testament Kenntnis erlangt, ist selbiges nichtig, ohne dass der Heimträger die Nichtigkeit mit der Beantragung einer Ausnahmegenehmigung noch abwenden könnte. M.a.W.: Eine saubere Lösung ist nur, dass der Heimbewohner ohne Beteiligung – damit nämlich wieder: Kenntnis – des Heimbetreibers die Heimaufsicht einschaltet und sich die Errichtung des Testaments genehmigen läßt.
Sonderfälle: Erbvertrag und gemeinschaftliches Testament
Ist also nach geltender Rechtspraxis jede von einem Heimbewohner irgendwann zugunsten des Heimträgers errichtete Verfügung von Todes wegen mit Kenntniserlangung des Heimträgers von seiner Begünstigung – praktisch ohne Möglichkeit der Beantragung einer Ausnahmegenehmigung – nichtig? Wohl nicht, denn es existieren „atypische“ Konstellationen, in denen die abstrakt vermutete Gefahr, der Heimbewohner habe dem Heimträger nur deshalb etwas zugewendet, weil dieser unzulässig auf seinen freien Testierwillen Einfluss genommen habe, von vornherein nicht besteht und deshalb § 14 Abs. 1 HeimG seinem Sinn und Zweck nach nicht eingreifen darf, zumindest i.V.m. verfassungsrechtlichen Erwägungen.
Ein solcher atypischer Fall liegt beispielsweise dann vor, wenn der Erblasser vor seinem Einzug ins Heim mit der Pflegeeinrichtung (oder einem Dritten) einen Erbvertrag ohne Rücktrittsvorbehalt schließt, in dem er sich verpflichtet, den Heimträger zu seinem Erben einzusetzen. Im Unterschied zum Testament bindet der Erbvertrag ohne Rücktrittsvorbehalt den Versprechenden schon zu Lebzeiten an seine im Erbvertrag getroffene Verfügung, die er allenfalls unter Mitwirkung seines Vertragspartners in notarieller Form widerrufen kann (§§ 2290 f. BGB). Der Erblasser schränkt damit seine Testierfreiheit vor dem Einzug ins Heim (d.h. vor der vermuteten Abhängigkeitslage) autonom ein. Auf seine Testierfreiheit kann daher nach dem Einzug ein „faktischer Druck“ nicht mehr ausgeübt werden. Des Schutzes durch § 14 HeimG bedarf es nicht; dann aber kann § 14 HeimG in diesem Fall aus Schutzzwecküberlegungen heraus nicht eingreifen. Wo keine Gefahrenlage, da dann auch kein legitimer „Schutz vor sich selbst“!

Differenzierter gestaltet sich die Sachlage im Falle der Errichtung eines gemeinsamen Testaments, welches allein zwischen Ehegatten zulässig ist. Rechtlich handelt es sich hierbei grundsätzlich um zwei selbständige Verfügungen von Todes wegen, d.h. die Nichtigkeit der einen Verfügung läßt die Wirksamkeit der anderen unberührt. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn nach dem Willen der Eheleute die eine Verfügung mit der anderen stehen und fallen soll, die Verfügungen folglich wechselbezüglich sind. Dies ist jedoch in der Regel dann, wenn die Ehegatten eine gemeinnützige Einrichtung als Schlusserben einsetzen, nicht der Fall . Setzen die Ehegatten folglich vor dem Einzug eines von ihnen die Pflegeeinrichtung mit nicht wechselbezüglichen Verfügungen zum Schlusserben ein, so hat dies, wenn der im Heim lebende Ehegatte zuerst verstirbt, zur Konsequenz, dass nur dessen Verfügung gemäß §§ 14 Abs. HeimG, 134 BGB nichtig ist. Die Pflegeeinrichtung erbt als Schlusserbe vom außerhalb des Heimes lebenden Ehegatten, es se i denn, dessen Verfügung unterfällt § 14 Abs. 1, 2. Alt. HeimG „zugunsten eines Bewohners“ . Anders liegt der Fall, wenn die Ehegatten in ihrem gemeinsamen Testament die Pflegeeinrichtung wechselbezüglich zum Schlusserben einsetzen und der überlebende Ehegatte erst nach dem Tode des anderen Ehegatten in das Altenheim zieht. Mit dem Tode erlischt das Widerrufsrecht des überlebenden Ehegatten hinsichtlich der wechselbezüglichen Verfügung (§ 2271 Abs. 2 BGB). Diese Bindungswirkung tritt in der beschriebenen Fallgestaltung schon vor dem Einzug des überlebenden Ehegatten in das Heim ein. Mithin kann § 14 Abs. 1 HeimG die Testierfreiheit des nunmehr im Heim lebenden Ehegatten nicht mehr schützen, da er sich selbst dieser Freiheit begeben hat. § 14 Abs. 1 HeimG kann folglich auch hier nicht eingreifen.

Atypisch ist auch der folgende Fall: Der Heimbewohner verfügt aufgrund einer Ausnahmegenehmigung wirksam letztwillig zugunsten des Heimträgers. Später testiert er neu, wobei er dem Heimträger weniger zuwendet als im ersten Testament. Auch hier darf § 14 Abs. 1 HeimG auf die zeitlich spätere Verfügung keine Anwendung finden. Die zeitlich spätere Verfügung, die sich zu Lasten der Pflegeeinrichtung auswirkt, zeigt, dass der Heimbewohner gerade nicht unter Druck gesetzt wurde, eine die Pflegeeinrichtung begünstigende letztwillige Verfügung aufrechtzuhalten. Mithin ist die von § 14 HeimG abstrakt vermutete Gefährdungslage nicht gegeben. § 14 HeimG darf daher seinem Sinn und Zweck nach verbunden mit verfassungsrechtlichen Erwägungen wiederum nicht eingreifen; der Heimträger erbt entsprechend der zeitlich späteren Verfügung.
Grundsätzliche Bedenken: Bevormundung für Bewohner honoriger Heime, Schutzlücken für Bewohner „schwarzer Schafe“?
Wie sich zeigt, ist die vom Kammergericht vorgeschlagene Praxis nur scheinbarer Schutz. Jedoch bestehen auch erhebliche Zweifel an der – wenigstens konsequenten – Sichtweise des BVerfG; insbesondere erscheint die Geeignetheit bzw. Angemessenheit des Schutzkonzepts wegen der gängigen Verwaltungspraxis fraglich. Nach Erteilung der Ausnahmegenehmigung kontrollieren die Heimaufsichtsbehörden nämlich regelmäßig nicht mehr, ob die Aufrechterhaltung einer zu einem frühen Zeitpunkt errichteten letztwilligen Verfügung auch noch zu einem fortgeschrittenen Zeitpunkt von versteckten Einflussnahmen des Trägers unbeeinflusst geblieben ist. Dabei dürfte die Abhängigkeit des Bewohners gerade desto stärker werden, je länger er sich in der Pflegeeinrichtung befindet. Ist die Ausnahmegenehmigung erst einmal erteilt, fällt der Heimbewohner daher regelmäßig schutzlos in die Obhut des Heimträgers; gerade die vielzitierten „schwarzen Schafe“ dürften wissen, was sie zu tun haben. Die Vorschrift erstarrt damit zu einem peinl iche n Ritual, das Schutz bloß vorspiegelt, nicht aber tatsächlich gewährleistet. Des weiteren zeigt ein im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) erfolgender Vergleich, dass das Testament eines Heimbewohners gleichsam weniger wert ist, als das eines Betreuten. Letzterer hat zumindest die Vermutung seiner Testierfähigkeit für sich und ist in seinen Testiermöglichkeiten nicht beschränkt . Im Endeffekt wird das Testament eines Heimbewohners so behandelt, als habe es ein Geisteskranker errichtet. An der Vergleichbarkeit bestehen aber erhebliche Zweifel.
Erheblichen Bedenken, v.a. im Hinblick auf die gängige Verwaltungspraxis, sieht sich zudem die extensive Rechtsprechung zum „eingezogenen Heimbewerber“ ausgesetzt. In diesem Sonderfall testiert der Erblasser zugunsten der Pflegeeinrichtung, bevor er sich in das Pflegeheim begibt; diese erlangt erst nach dem Einzug des Erblassers Kenntnis von ihrer Begünstigung. Obwohl § 14 Abs. 1 HeimG seinem Wortlaut nach lediglich Leistungen des Heimbewohners erfasst, vertritt die Rechtsprechung den Standpunkt, § 14 Abs. 1 HeimG müsse auch für Testamente von eingezogenen Heimbewerbern gelten. Mit dem Einzug komme der ehemalige Heimbewerber nämlich in eine dem testierenden Heimbewohner vergleichbare Zwangslage. Sein freier Wille, das Testament zu Lasten der Pflegeeinrichtung zu ändern, könne aufgrund des Abhängigkeitsverhältnisses faktischem Druck ausgesetzt sein. Da die Reservationslösung des KG – wie bereits ausgeführt – nicht überzeugt, besteht die Gestaltungsoption der Beantragung einer Ausnahmegenehmigung auch i n d iesem Fall nicht. Der eingezogene Heimbewohner kann lediglich – im Anschluss an Ausführungen des BVerfG – erneut testieren, entweder ohne Kenntnis des Heimträgers oder diesmal mit vorheriger Genehmigung des Testaments durch die Heimaufsichtsbehörde. Meines Erachtens ist dieses Ergebnis verfassungswidrig, müsste § 14 HeimG auf Fälle dieser Art gänzlich unanwendbar sein. Zumindest müsste aber dem potentiellen Heimbewohner die Möglichkeit offen stehen, die „Mitnahme“ des Testaments zugunsten des Trägers noch vor dem Einzug von der Heimaufsicht „absegnen“ zu lassen. Die Frage ist Gegenstand eines beim Verwaltungsgericht Berlin anhängigen Musterverfahrens.
Klarstellungsbedarf: Warum nicht im Rahmen des „3. HeimRÄndG“?

Insgesamt muss man sich angesichts der herrschenden Rechtspraxis fragen, ob § 14 HeimG wirklich noch zeitgemäß ist. Zweckmäßigerweise sollte er auf Fälle von Vermögensgewährungen mit rechtlicher Bindungswirkung eingeschränkt werden. Denkbar ist auch die Einschränkung der Anwendbarkeit auf Fälle mit intensiver Hospitalisierung, m.a.W., echte Pflegeplätze.