„Der Zweifel ist der Beginn der Wissenschaft. Wer nichts anzweifelt, prüft nichts. Wer nichts prüft, entdeckt nichts. Wer nichts entdeckt, ist blind und bleibt blind.“ (Teilhard de Chardin, 1881-1955, frz. Theologe, Paläontologe u. Philosoph)

Im Zeichen der Beschleunigung

Am 3. März 2023 hat der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Änderung des Raumordnungsgesetzes und anderer Vorschriften beschlossen. Das Gesetz steht ganz im Zeichen der Beschleunigung. Erhebliche Auswirkungen hat es vor allem auf die Genehmigung von Windenergieanlagen und den Netzausbau.

1. Windenergie

Mit dem Gesetz zur Änderung des Raumordnungsgesetzes und anderer Vorschriften wurde insbesondere § 6 des Windenergieflächenbedarfsgesetzes (WindBG) geändert. Nach dem neuen § 6 I WindBG bedarf die Genehmigung von Windenergieanlagen keiner Umweltverträglichkeitsprüfung mehr und ist auch keine artenschutzrechtliche Prüfung nach § 44 I BNatSchG mehr durchzuführen, sofern die Windenergieanlage in einem Windenergiegebiet liegt, bei dessen Ausweisung eine Umweltprüfung nach § 8 ROG oder § 2 IV BauGB durchgeführt wurde und das Windenergiegebiet nicht in einem Natura 2000-Gebiet, einem Naturschutzgebiet oder einem Nationalpark liegt. Auf eine, auch inhaltlich zutreffende, Umweltprüfung kommt es dabei ausweislich des Wortlautes der Vorschrift nicht an. Entscheidend ist nur, dass eine solche Prüfung durchgeführt worden ist. Bestätigt wird dieses Auslegungsergebnis durch Sinn und Zweck des Gesetzes, das der Beschleunigung dient. Eine Inzidenzkontrolle der auf vorgelagerter Planungsebene erfolgten Umweltprüfung im Genehmigungsverfahren stünde diesem Ziel diametral entgegen.

Was das besondere Artenschutzrecht angeht, so regelt § 6 I WindBG weiter, dass die zuständige Behörde auf Grundlage vorhandener Daten geeignete und verhältnismäßige Minderungsmaßnahmen anzuordnen hat, um die Einhaltung der Vorschriften des § 44 I BNatSchG zu gewährleisten. Voraussetzung ist indes, dass die Daten eine ausreichende räumliche Genauigkeit aufweisen und zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Genehmigungsantrag nicht älter als fünf Jahre sind. Anders als bisher können die Antragsteller also nicht mit umfangreichen Ermittlungen belastet werden.

Unklar ist, ob für die Verhältnismäßigkeitsgrenze die Regelung des § 45b VI BNatSchG herangezogen werden kann, wonach bei Abschaltanordnungen grundsätzlich nur ein Ertragsverlust von 6 % bzw. 8 % hinzunehmen ist. Da § 6 I WindBG eine weitergehende Privilegierung gegenüber den allgemeinen Vorschriften darstellt, wäre es nicht begründbar, hier den Antragstellern mehr abzuverlangen, als § 45b VI BNatSchG (auch) außerhalb von Windenergiegebieten vorsieht.

Scheidet die Anordnung von Minderungsmaßnahmen mangels verfügbarer aktueller Daten oder geeigneter verhältnismäßiger Maßnahmen aus, haben die Betreiber von Windenergieanlagen eine Zahlung in Geld zu leisten. Die Zahlung beträgt 450,00 Euro je Megawatt installierter Leistung, sofern Schutzmaßnahmen für Vögel angeordnet werden, die die Abschaltung von Windenergieanlagen betreffen oder Schutzmaßnahmen, deren Investitionskosten höher als 17.000,00 Euro je Megawatt liegen, ansonsten 3.000,00 Euro je Megawatt installierter Leistung. Die Mittel sind für Artenhilfsprogramme im Sinne des § 45d BNatSchG zu verwenden.

Anwendung findet diese neue Vorschrift ausweislich § 6 II WindBG auf Genehmigungsverfahren, bei denen der Antragsteller den Antrag bis zum Ablauf des 30. Juni 2024 stellt. Hintergrund dieser Regelung ist eine entsprechende Bestimmung in der EU-Notfallverordnung (Verordnung (EU) 2022/2577), welche die Grundlage für die weitreichende Befreiung von der UVP-Pflicht ebenso wie von der Pflicht zur Durchführung einer artenschutzrechtlichen Prüfung bietet.

Dass diese neuen Regelungen einen Beschleunigungseffekt zeitigen werden, dürfte kaum in Abrede zu stellen sein. Noch nicht abzusehen ist jedoch, welchen Preis dies für die Biodiversität hat. Während bisher die behördliche Genehmigungspraxis vielfach durch überzogene Anforderungen insbesondere in Bezug auf den besonderen Artenschutz gekennzeichnet gewesen ist, läuft der Gesetzgeber nunmehr womöglich Gefahr, gleichsam das Kind mit dem Bade auszukippen.

2. Netzausbau

Zur Beschleunigung des Netzausbaus ist u.a. § 43m EnWG eingeführt worden. Nach dessen Absatz 1 ist bei Vorhaben, für die die Bundesfachplanung nach § 12 NABEG abgeschlossen wurde oder für die ein Präferenzraum nach § 12c IIa NABEG ermittelt wurde und für sonstige Vorhaben im Sinne des § 43 I 1 Nr. 1-4 und § 1 BBPlG und § 1 EnLAG, die in einem für sie vorgesehenen Gebiet liegen, für das eine Strategische Umweltprüfung durchgeführt wurde, von der Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung und einer Prüfung des Artenschutzes nach den Vorschriften des § 44 I BNatSchG abzusehen. Dies entlastet insbesondere von Ermittlungspflichten.

Damit diese Pflichten nicht gewissermaßen über die Hintertür wieder Einzug halten, regelt die Vorschrift weiter, dass das in § 18 IV 1 NABEG und § 43 III EnWG verankerte Abwägungsgebot mit der Maßgabe anzuwenden ist, dass Belange, die nach der vorgenannten Bestimmung nicht zu ermitteln, zu beschreiben und zu bewerten sind, nur insoweit im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen sind, als diese Belange im Rahmen der zuvor durchgeführten Strategischen Umweltprüfung ermittelt, beschrieben und bewertet wurden. Unberührt davon bleibt indes die Eingriffsregelung (§ 15 BNatSchG) als additives Zulassungsverfahren bzw. Folgenbewältigungsprogramm zur Sicherstellung eines flächendeckenden Mindestschutzes von Natur und Landschaft.

43m II EnWG sieht sodann vor, dass die zuständige Behörde sicherstellt, dass auf Grundlage der vorhandenen Daten geeignete und verhältnismäßige Minderungsmaßnahmen ergriffen werden, um die Einhaltung der Vorschriften des § 44 I BNatSchG zu gewährleisten, soweit solche Maßnahmen verfügbar und geeignete Daten vorhanden sind. Gerade auch im Kontrast zu § 6 I 3 WindBG (dort heißt es: „Die zuständige Behörde hat … anzuordnen.“) erscheint es auf den ersten Blick fraglich, ob entsprechende Maßnahmen gegenüber dem Netzbetreiber verfügt werden können oder die Behörde hier nur selbst tätig werden kann (und muss). Aus dem systematischen Zusammenhang mit dem nachfolgenden Satz („Der Betreiber hat ungeachtet des Satzes 1 …“) und aus dem Umstand, dass die für die Genehmigung von Netzausbauvorhaben zuständige Behörde weder die Mittel noch die Möglichkeit hat, artenschutzrechtliche Maßnahmen zu konzipieren und umzusetzen, wird indes deutlich, dass die Minderungsmaßnahmen dem Netzbetreiber aufzuerlegen sind. Andernfalls ergäbe auch die Beschränkung auf „verhältnismäßige“ Minderungsmaßnahmen keinen Sinn.

Gemäß § 43m II 2 EnWG hat der Betreiber „ungeachtet des Satzes 1“ einen finanziellen Ausgleich für nationale Artenhilfsprogramme nach § 45d I BNatSchG zu zahlen, wobei die Höhe der Zahlung ausweislich des Satzes 4 der Vorschrift 25.000,00 Euro je angefangenem Kilometer Trassenlänge beträgt.

Die Anwendung dieser Vorschriften ist entsprechend den Vorgaben der EU-Notfallverordnung ebenfalls auf bis zum Ablauf des 30. Juni 2024 gestellte Anträge beschränkt (§ 43m III EnWG).

Auch diese Neuregelung verspricht durchaus einen erheblichen Beschleunigungseffekt. Mit Blick auf den dort geleisteten erheblichen Aufwand erscheint sie zumindest im Anwendungsbereich der Bundesfachplanung zudem auch folgerichtig und birgt keine größere Gefahr des „Ausverkaufs“ umweltrechtlicher Standards.