„Der Zweifel ist der Beginn der Wissenschaft. Wer nichts anzweifelt, prüft nichts. Wer nichts prüft, entdeckt nichts. Wer nichts entdeckt, ist blind und bleibt blind.“ (Teilhard de Chardin, 1881-1955, frz. Theologe, Paläontologe u. Philosoph)

Kinder psychisch kranker Eltern und die „familiäre Solidarität“

– zugleich Kritik am Urteil des BGH vom 15.9.2010

von Dr. Marcus Lau und stud. B.A. Soziale Arbeit Anne Lau
veröffentlicht in der Zeitschrift für das Gesamte Familienrecht mit Betreuungsrecht, Erbrecht, Verfahrensrecht, Öffentlichem Recht – FamRZ 2011, Heft 11, S. 862 ff.
Stand: 7. Juni 2011

Mit Urteil vom 15. September 2010 hat der Bundesgerichtshof den Sohn einer schwer schizophrenen erkrankten und seinerzeit allein erziehenden Mutter in letzter Instanz zur Zahlung von Elternunterhalt verurteilt. Geklagt hatte der bislang in Vorleistung getretene Sozialhilfeträger. Der Beklagte hatte unter anderem gegen seine Inanspruchnahme eingewandt, dass sich der klagende Sozialhilfeträger jedenfalls nicht auf einen Übergang der Unterhaltsansprüche seiner Mutter berufen könne, da dem § 94 III 1 Nr. 2 SGB XII entgegenstehe. Diese Vorschrift schließt einen entsprechenden gesetzlichen Forderungsübergang aus, soweit dies eine unbillige Härte bedeuten würde. Der Bundesgerichtshof ist dem Einwand im Ergebnis nicht gefolgt.

Lau und dessen Ehefrau, die sehr engagiert ist in der Arbeit mit psychisch Kranken, halten das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 15. September 2010 in diesem Punkt für verfehlt. Der Bundesgerichtshof hat nämlich der speziellen Situation von Kindern psychisch kranker Eltern keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt, obgleich dies nach seiner eigenen Rechtsprechung zur unbilligen Härte i. S. v. § 94 III 1 Nr. 2 SGB XII angezeigt gewesen wäre. Das Urteil belegt damit einmal mehr, dass es in unserer Gesellschaft nach wie vor an Verständnis für und Einsicht in die Situation von Kindern psychisch kranker Eltern fehlt. Bleibt zu hoffen, dass sich dies baldmöglichst ändert.