Seit Jahren war es ein unter Verwaltungsrechtsanwälten bekanntes Ärgernis: Um „kurzen“ Prozess zu machen und ein mögliches Einschreiten der Verwaltungsgerichte zu blockieren, wurde dem von der Verwaltung favorisierten Kandidaten flux die Ernennungsurkunde ausgehängt und damit – teils durchaus absichtsvoll – eine Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausgenutzt, wonach der Aufhebung auch einer rechtswidrigen Auswahl und darauf aufbauenden Ernennungsentscheidung für den von mehreren Bewerbern erstrebten Dienstposten der Grundsatz der sog. Ämterstabilität entgegenstehe. Gerade im Streit um hochrangige Dienstposten (Gerichtspräsident, Polizeipräsident etc.) kam dies bis in die jüngste Vergangenheit immer wieder vor.
Vereinzelt wurde deshalb diese Rechtsprechung kritisiert, z. B. von Füßer, der sich nach einer entsprechenden Erfahrung Mitte der 90er Jahre (Aushändigung der Ernennungsurkunde an den Konkurrenten während des für seinen Mandanten betriebenen Beschwerdeverfahrens) in einem Aufsatz seinen Frust von der Seele geschrieben, jedenfalls für den hier maßgeblichen Fall der sog. dolosen Rechtsschutzvereitelung eine Durchbrechung des Grundsatzes der Ämterstabilität gefordert, diese Forderung auf das Grundrecht des sog. effektiven Rechtsschutzes gestützt und einen einfachrechtlichen Lösungsweg aufgezeigt hatte, um dieses Ergebnis zu erreichen (DÖV 1997, 816 ff.).
Um so erfreulicher ist es, dass – auch nach noch verschiedenen Ermahnungen des Bundesverfassungsgerichts – nun auch das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 4. November 2010 – 2 C 16.09 – seine alte Rechtsprechung korrigiert und jedenfalls für die von Füßer so genannten Fälle der dolosen Rechtsschutzvereitelung einen Weg für den auf die Ernennung gerichteten sog. primären Rechtsschutz eröffnet hat, für diese Fälle nun doch eine Aufhebung auch der durch Aushändigung der Ernennungsurkunde vollzogenen Ernennungsentscheidung für möglich hält.
Wie auch das Bundesverwaltungsgericht erneut betont: Die in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis gefundene Lösung, den Konkurrenzstreit in ein Eilverfahren nach der Auswahlentscheidung, aber vor der Ernennung des bevorzugten Bewerbers zu verlagern und damit zügig klare Verhältnisse zu schaffen, hatte sich bewährt; immerhin – so ein nicht ausgesprochenes Hintergrundmotiv – sollte angesichts der üblichen Laufzeit verwaltungsgerichtlicher Hauptsacheverfahren eine jahrelange Blockade der Besetzung gerade der begehrten Führungspositionen in Verwaltung und Justiz verhindert werden. Die verwaltungs- und verwaltungsprozessrechtsdogmatisch spannende Aufgabe bestand freilich darin, einerseits auch bei dolosen Rechtsschutzvereitelungen doch den verfassungsrechtlich unabdingbaren Rechtsschutz zu ermöglichen, andererseits aber die bisherige Lösung nicht gänzlich über den Haufen zu werfen. Dem seinerzeit von Füßer vorgeschlagenen Lösungsweg (eine Anwendung der jeweiligen Vorschrift des Bundes- bzw. Landesverwaltungsverfahrensrechts über die Nichtigkeit bei offensichtlichen und schweren Mängeln eines Verwaltungsaktes) folgt der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts nicht. Freilich bleibt damit offen, auf welcher Rechtsgrundlage genau und warum gerade nur in den Fällen doloser Rechtsschutzvereitelung durch den Dienstherrn eine nachträgliche Aufhebung der Ernennung (zumindest für die Zukunft) möglich sein soll und die vom Bundesverwaltungsgericht für das Eilverfahren angemahnte gründliche Prüfung grundsätzlich weiter – eigentlich systemwidrig – im Eilverfahren erfolgen soll und nicht in einem regulären Hauptsacheverfahren, insbesondere auch mit den dort bestehenden umfassenderen Möglichkeiten der Sachverhaltsaufklärung in einer förmlichen Beweisaufnahme.
An sich wäre hier ein Lösungsweg angezeigt, wie er der vergleichbaren Konstellation der Konkurrenz um Linienverkehrsgenehmigung nach dem Personenbeförderungsrecht existiert: Auch hier soll nach Aushändigung der entsprechenden Genehmigungsurkunde die Genehmigung unanfechtbar. Solange auf die Klage von Konkurrenten in Hauptsacheverfahren jahrelang um die Frage der Rechtmäßigkeit der Bewerberauswahl gestritten wird, wird die Aushändigung der Urkunde über Erteilung der Linienverkehrsgenehmigung zurückgehalten; die während des Streit freilich unverzichtbaren Verkehrsleistungen werden auf der Grundlage gesetzlich befristeter – ggf. kettenartig erteilter – vorläufiger Linienverkehrsgenehmigungen erteilt. Das Beamten- und Richterdienstrecht erlaubt diesen Weg freilich nicht, gesetzliche Möglichkeiten zur „vorläufigen Ernennung“ bestehen nicht.
Insofern bleibt – so begrüßenswert das Urteil im Übrigen ist – bezogen auf den Lösungsweg ein gewisser fahler Nachgeschmack.
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