„Der Zweifel ist der Beginn der Wissenschaft. Wer nichts anzweifelt, prüft nichts. Wer nichts prüft, entdeckt nichts. Wer nichts entdeckt, ist blind und bleibt blind.“ (Teilhard de Chardin, 1881-1955, frz. Theologe, Paläontologe u. Philosoph)

EuGH bestätigt Füßer/Lau-These zum Geltungsumfang von Art. 4 WRRL

Die für jede mit Gewässern in Berührung stehende Vorhabenzulassung und im Wasserrecht allgemein zentralen Vorschriften der §§ 27 ff. WHG über die Gewässerbewirtschaftungsziele gehen auf Art. 4 der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) zurück. Hier war und ist vieles umstritten. Einige der Fragen, u. a. die nach dem Einsatzzeitpunkt, ab dem die Vorgaben des Art. 4 WRRL überhaupt Geltung beanspruchen, hat der EuGH jüngst mit Urteil vom 11. September 2012 beantwortet und damit eine von uns bereits 2005 in einer Denkschrift zur Wasserrahmenrichtlinie vertretene und sodann 2008 in den Niedersächsischen Verwaltungsblättern (NdsVBl.) publizierte Auffassung bestätigt.

In NdsVBl 2008, 193 (195 f.) haben Füßer und Lau die These aufgestellt, dass die Vorgaben des Art. 4 WRRL grundsätzlich erst ab der Existenz von Maßnahmenprogrammen und Bewirtschaftungsplänen, zu deren Aufstellung die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, gelten. Bis zu diesem Zeitpunkt entfalte Art. 4 WRRL allenfalls über den seinerzeitigen Art. 10 EG eine gewisse Vorwirkung dahingehend, dass die Erreichung der Zielstellungen der Wasserrahmenrichtlinie nicht nachhaltig gefährdet werden dürfe.Diese These ist in der einschlägigen deutschsprachigen Literatur und Rechtsprechung – soweit ersichtlich – durchweg auf Ablehnung gestoßen und wurde bisweilen sogar als abenteuerlich bis völlig abwegig abgetan. Umso mehr freut es, dass der EuGH nun sieben bzw. vier Jahre später mit Urteil vom 11. September 2012 (Rs. C-43/10) der von uns vertretenen Auffassung in der Sache gefolgt ist (siehe Rdnr. 51 ff. des Urteils; wissenschaftliche Literatur zitiert der EuGH in seinen Urteilen generell nicht).

Auch hat der EuGH bei dieser Gelegenheit die weitere unter anderem von uns in der oben genannten Denkschrift aufgestellte These bestätigt, dass im Rahmen der Ausnahmeerteilung nach Art. 4 VII WRRL zunächst eine schlichte bipolare Abwägung der einander widerstreitenden Interessen vorzunehmen sei und die Wasserrahmenrichtlinie – anders als etwa zuletzt vom Verwaltungsgericht Düsseldorf mit Urteil vom 3. August 2011 (Az. 10 K 473/09) vertreten – insofern keine absolute Wichtigkeitsschwelle vorsehe (siehe Rdnr. 68 des EuGH-Urteils).