„Der Zweifel ist der Beginn der Wissenschaft. Wer nichts anzweifelt, prüft nichts. Wer nichts prüft, entdeckt nichts. Wer nichts entdeckt, ist blind und bleibt blind.“ (Teilhard de Chardin, 1881-1955, frz. Theologe, Paläontologe u. Philosoph)

Bundeverwaltungsgericht folgt Füßers restriktiver Auffassung zu flexiblen Bedienformen im ÖPNV

Nach dem geltenden Personenbeförderungsrecht soll die öffentliche Verkehrsbedienung regelmäßig durch sog. Linienverkehr erfolgen. Dem entspricht der allen bekannte „Linienbus“ mit festen regelmäßigen Ausgangs- und Endhaltstelle, festen Abfahrts- und Ankunftszeiten. Diese traditionelle Ausgestaltung ist kein Zufall, die „Formenstrenge“ des Personenbeförderungsrechts, das in §§ 2, 28 ff., insbesondere 41 ff. PBefG entsprechende Vorgaben insbesondere für den sog. Linienverkehr aus eine der normierten Verkehrsarten vorsah und zugleich Ausnahmen nur zu Versuchszwecken (§ 2 VII PBefG) und gemäß § 2 VI PBefG in „besonders gelagerten Einzelfällen“ erlaubte, soll mittelbar die Auskömmlichkeit des Geschäfts des ÖPNV sichern, ruinösen Wettbewerb um die Fläche verhindern.

Befeuert durch moderne Entwicklungen von Kommunikations- und logistischer Steuerungstechnik einerseits, der mit der Aufrechterhaltung des klassischen Linienbusverkehrs überall in sog. Randzeiten und zu allen Zeiten in der Fläche verbundenen ökonomischen Ineffizienzen andererseits mehrten sich in den 90er Jahren die Bestrebungen, durch „intelligente Lösungen“ – z.B. in der Gestalt eines gerade zur Nachtzeit auf Abruf einzelner Nutzer mit flexiblen Routen operierenden Busflotte unterschiedlicher Größe (vom Kleinwagen bis zum Linienbus) operierenden Flotte – nicht nur die Bedienqualität für die Nutzer zu erhöhen, sondern dies sogar bei geringerer Belastung der öffentlichen Haushalte im Rahmen des ohnehin nötigen Zuschussbetriebs.

Am Beispiel des sog. Wittenberger Modells waren wir u.a. mit diesem Thema befasst. Auf ein  Rechtsgutachten zu den Details des Wittenberger Modells folgte aus der Feder von Füßer ein Fachaufsatz (DVBl. 2012, 1 ff.), gerade zu dem Thema Zulässigkeit der so genannten „flexiblen Bedienform“. Sah das VG Halle es noch wie der Landkreis, folgte das OVG Magdeburg sodann in einem lesenswerten Urteil (vom 1. August 2012 – 3 L 2/11 –) der Füßer’schen Auffassung. Dort (S. 23 ff.) hat das Gericht die im Landkreis Wittenberg derzeit verwendeten Betriebsformen eines sog. Anrufbus als eindeutig rechtwidrig disqualifiziert, begründet dies bis in die Einzelheiten mit Argumenten, die sich erkennbar an Füßers DVBl-Aufsatz anlehnen, (wenngleich sie ihn nicht ausdrücklich zitieren). Nun hat auch das BVerwG diese Auffassung bestätigt, nämlich mit Urteil vom 12. Dezember 2012 (– 3 C 21.12 –). Wie man der Lektüre der einschlägigen Passagen des Urteils (Rz. 31 ff., insb. Rz 34) unschwer entnehmen kann, folgt das Bundesverwaltungsgericht insofern – auch wenn es ihn nicht zitiert – erkennbar der von Füßer in dem erwähnten Aufsatz vertretenen Auffassung, wonach es für die Gestattung atypischer Bedienformen nach § 2 VI PBefG a.F. auf eine „echte Singularität“ ankommt, die alleine die Abweichung von den typisierten Vorgaben für die im PBefG geregelten Verkehrsformen rechtfertigen kann. Auch argumentiert das Gericht ähnlich wie Füßer gegen meine Stimmen in der Literatur, dass dieses Ergebnis auch nicht durch verfassungsrechtliche Überlegungen in Frage gestellt werde (vgl. Urteil, Rz. 41).

Allerdings hat der Gesetzgeber zwischenzeitlich selbst eingegriffen: Der vormals wie folgt gefasste § 2 VI PBefG

Beförderungen, die in besonders gelagerten Einzelfällen nicht alle Merkmale einer Verkehrsart oder Verkehrsform dieses Gesetzes erfüllen, können nach denjenigen Vorschriften dieses Gesetzes genehmigt werden, denen diese Beförderungen am meisten entsprechen.

wurde mit Wirkung ab Mitte 2012 neugefasst und lautet nunmehr:

Anstelle der Ablehnung einer Genehmigung kann im Fall einer Beförderung, die nicht alle Merkmale einer Verkehrsart oder Verkehrsform erfüllt, eine Genehmigung nach denjenigen Vorschriften dieses Gesetzes erteilt werden, denen diese Beförderung am meisten entspricht, soweit öffentliche Verkehrsinteressen nicht entgegenstehen.

Der Frage, ob zumindest diese Vorschrift das sog. Wittenburger Modell trägt, wird nun in der nächsten Runde beim OVG Magdeburg zu klären sein. Dass auch weiterhin nicht im Sinne der kreativen Entwicklung flexibler Bedienformen gilt „Anything goes!“, ist schon dem Umstand zu ersehen, dass es für die Zulässigkeit nunmehr darauf ankommt, dass keine „öffentlichen Verkehrsinteressen entgegenstehen“. Wir empfehlen auch insofern Füßer’s Aufsatz, der sich zu den dem sog. Formenzwang eingeschriebenen öffentlichen Verkehrsinteressen in seinem Beitrag im Rahmen einer ausgreifenden systematischen Interpretation geäußert hat.

Des weiteren liegt zu dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts eine Pressemitteilung vom Dezember 2013 vor. Inhaltliche Hinweise dazu, wohin die Reise insofern gehen soll, hat das Gericht in seiner sog. Segelanweisung freilich nicht gegeben. Es begnügt sich mit dem Verweis auf die neue – im Rahmen der erneuten Behandlung durch das OVG Magdeburg aus prozessrechtlichen Gründen maßgeblichen (Urteil, Rz. 54) – Fassung des § 2 VI PBefG.