„Der Zweifel ist der Beginn der Wissenschaft. Wer nichts anzweifelt, prüft nichts. Wer nichts prüft, entdeckt nichts. Wer nichts entdeckt, ist blind und bleibt blind.“ (Teilhard de Chardin, 1881-1955, frz. Theologe, Paläontologe u. Philosoph)

Der verlorene Kampf ums „Bleibendürfen“ für Zweitwohnungsbesitzer in Mecklenburg-Vorpommern: Das konträre Gegenteil eines „Pyrrhussieges“

Für einen Berufskollegen, selbst Partner in einer überörtlichen renommierten Sozietät und in Leipzig mit Erstwohnsitz wohnhaft, haben Füßer & Kollegen am 4. April einen Normenkontrollantrag gegen die am selben Tag in Kraft gesetzte – verschärfte – SARS-CoV-2-Bekämpfungsverordnung beim zuständigen Oberverwaltungsgericht des Landes Mecklenburg-Vorpommern in Greifwald eingelegt. Zugleich haben sie – im Wege des sog. Antrags auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung die vorläufige Außervollzugsetzung des neuen § 4 Absatz 8 der Verordnung beantragt. Diese Vorschrift lautet:

„Personen, die sich in Mecklenburg-Vorpommern aufhalten und für die keine Ausnahme nach den Absätzen 2-6 gilt, haben unabhängig vom Tag ihrer Einreise das Land Mecklenburg-Vorpommern unverzüglich zu verlassen“,

wobei der Antragsteller sich auf keine der genannten Ausnahmen berufen kann. Freilich war er bereits am 14. März zusammen mit Ehefrau und mehreren nicht schulpflichtigen Kindern zu einem ihm gehörenden Anwesen in Groß Schwansee gereist, an dem er auch mit Zweitwohnsitz gemeldet ist und häufiger residiert. Die Familie wollte die nächsten Wochen während der sich allmählich aufbauenden Corona-Krise dort in der Abgeschiedenheit ihres Ferienhauses verbringen, der Antragsteller im „Ferienhaus-homeoffice“ seiner Anwaltstätigkeit nachgehen. Dass hiernach die Landesregierung erstmals die SARS-CoV-2-Bekämpfungsverordnung vom 17. März 2020 erlies, sah der Antragsteller als unschädlich an: § 4 der seinerzeit beschlossenen Fassung untersagte nur „touristische Reisen nach Mecklenburg-Vorpommern“, die Familie befand sich zu diesem Zeitpunkt aber bereits in Groß Schwansee und dort an ihrem Zweitwohnsitz.

Als dennoch örtliche Ordnungsbehörden mit Lautsprecherdurchsagen gegenüber der Familie des Antragstellers sowie anderer Ferienhausbesitzer Druck zu machen begannen, man sollte endlich „ab-“ bzw. „ausreisen“, wandte der Antragsteller sich zunächst – vergeblich – an die Landesregierung und sodann an das zuständige Verwaltungsgericht Schwerin, um eine vorläufige Klärung im seinem Sinne – keine „Ausreisepflicht für schon zuvor eingereiste Zweitwohnsitzler“ – zu erreichen.

Während des laufenden Gerichtsverfahrens hat die Landesregierung nun die neue SARS-CoV-2-Bekämpfungsverordnung erlassen, damit die Rechtslage im Sinne einer jederzeitigen „Ausreiseverpflichtung aller ‚Gebietsfremden’“ weiter verschärft. Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht Klaus Füßer, der seinen Kollegen vertritt, führt dazu aus:

„Es ist schon erstaunlich, wie sich Mecklenburg-Vorpommern mit dieser ‚Haut-ab-Regelung‘ gleichsam zur Corona-Kleinstaaterei bekennt. Dabei sieht die erst jüngst neugefasste einschlägige Ermächtigungsgrundlage in § 28 des Bundes-Infektionsschutzgesetzes ganz auf der Linie der zu Grunde liegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse vor allem den Erlass von Bleibeverpflichtungen vor, um das mit weiteren vermeidbaren Kontakte mit unbekannten Personen verbundene Infektionsrisiko auszuschließen, ein Risiko, wie es gerade bei dauerhaften Ortswechseln vorkommt. Menschen außer Landes zu verweisen, ist allenfalls geeignet, zusätzliche Infektionsrisiken zu allererst in anderen Bundesländer zu erzeugen“

und meint, man sei nach der erst kürzlich erfolgten Außervollzugsetzung entsprechender im Land Brandenburg erlassenen Allgemeinverfügungen durch das Verwaltungsgericht Potsdam hoffnungsfroh, dass die Richter in Greifwald diesem Spuk ebenfalls ein Ende setzen.

Rechtsanwalt Tobias Meiser aus dem Team Füßer ergänzt:

„Ursprünglich war ich nicht begeistert, als mein Chef zu Beginn der Corona-Krise unkte, man werde jetzt häufiger sehen, wie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit immer häufiger an den Rand gedrängt werde. Vielmehr ging ich davon aus, dass auch in Zeiten der Corona-Pandemie bei Einschränkungen der Freiheitsrechte das oft zitierte ‚Maß und Mitte‘ beibehalten wird und nur erforderliche Maßnahmen umgesetzt werden. Dieser Fall zeigt aber, dass die Befürchtung von Rechtsbeeinträchtigungen durch überbordendes Handeln der Behörden aufgrund der Corona-Pandemie nicht von der Hand zu weisen ist.“

Meiser fühlt sich – wie Füßer – in dieser Einschätzung bestärkt und im Kampf um Freiheitsrechte in der Corona-Krise auch dadurch ermuntert, dass jüngst sogar der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts und renommierte Verfassungsrechtler Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier die Grundrechte in der Corona-Krise als „massiv bedroht“ angesehen und von der Gefahr gesprochen hat, bei längerer Fortsetzung habe „der liberale Rechtsstaat abgedankt“.

Mittlerweile hat das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Außervollzugsetzung des § 4 Absatz 8 der Verordnung abgelehnt. Bemerkenswert ist aus Sicht von Füßer und Meiser vor allem, dass das Oberverwaltungsgericht nicht im Ansatz auf die vorgebrachten Argumente eingeht und die Besonderheiten des Falles – Ausreisepflicht statt Einreiseverbot – außer Acht lässt. Den spezifischen Grundrechtseingriff durch die Ausreisepflicht lässt das Oberverwaltungsgericht ebenso außer Betracht, wie die stetig sinkenden Fallzahlen und die damit verbundenen freien Intensivbetten in Mecklenburg-Vorpommern, die die befürchtete Überlastung des Gesundheitssystems durch die „Zweitwohnsitzeinwohner“ als zumindest unwahrscheinlich erscheinen lassen. Inwiefern eine Ausreiseverpflichtung zur Reduzierung der Ausbreitung des Corona-Virus beitragen kann lässt das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern ebenfalls unbeantwortet. Gegen diese Entscheidung legen Füßer & Kollegen nach Rücksprache mit dem Mandanten weder Gehörsrüge noch Verfassungsbeschwerde ein.

Aufgrund der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 15. April 2020, in der das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, dass ein generelles Versammlungsverbot aufgrund der Corona-Pandemie verfassungswidrig ist, sieht sich Füßer in seiner Ansicht, dass generellere Verbote ohne Dispensmöglichkeit auch in Zeiten der Corona-Pandemie verfassungswidrig sind, bestätigt und hofft, dass nun auch weitere Regelungen streng hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit geprüft werden. Ob die Reisebeschränkungen nach Mecklenburg-Vorpommern im Hinblick auf die deutliche Verlängerung bis zum 10. Mai 2020 noch verhältnismäßig sind, gilt es aus Sicht von Füßer zu prüfen. Gleiches gilt für weitere generelle Verbote, sofern das Ziel – Eindämmung der Ausbreitung des Virus – mit milderen Mitteln möglich ist. Insofern ist sich Füßer sicher, dass der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts weitere Entscheidungen folgen werden und erachtet die aktuelle Situation aufgrund der Vielzahl der sich stellenden grundsätzlichen Fragen insbesondere als Verwaltungsrechtler als sehr spannend und freut sich sicherlich weitere Entscheidungen erstreiten zu können. „Stay tuned“

Was das Thema „Reisebeschränkungen“ angeht, hat der Mandant mit uns gemeinsam entschieden, die Hauptsache – das eigentliche Normenkontrollverfahren – durchzuführen. Füßer sieht der endgültigen Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts und der vorgelagerten – nach üblichen Laufzeiten: frühestens 2021 anstehenden – mündlichen Verhandlung mit Spannung und Vorfreude entgegen: Wird auch aus der nüchternen (bzw. wohl eher: ausgenüchterten) Post-Corona-Perspektive und bei genauem Blick in die Akten zur Entstehung der betreffenden Corona-Verordnungs-Variante bzw. der Befragung der seinerzeitigen Entscheider die Entscheidung, die wenigen vor oder zu Beginn der Epidemie in ihren Zweitwohnsitzen weilenden Menschen ausgerechnet während der Hochzeit der Epidemie zum Verlassen und zur Heimreise zu zwingen, noch als ausreichend „vertretbar“, „abgewogen“, „faktenbasiert“ etc. erscheinen? Füßer erlaubt sich zu orakeln, dass in diesem Fall – wie in anderen Fällen von zunächst in Eilverfahren „durchgewunkenen“ Maßnahmen – die Erörterung bezogen auf die von der Verwaltung – und sei es nachträglich und ohne Akten-Basierung – angeführten Gründe häufig an den Ausruf eines Kindes „Er hat doch gar nichts an!“ am Ende von Andersens Märchen „Des Kaiser neue Kleider“ erinnern wird…

Unser Engagement hat sich im Übrigen auch insgesamt als das erwiesen, was man als genau entgegengesetztes (in der (antiken) Logik: das „konträre“ im Gegensatz zum einfachen, dem „kontradiktorischen“) Gegenteil eines sog. „Pyrrhussieges“ bezeichnen könnte:

Pyrrhus von Epikur gewann zwar 275 v.Chr. den Tarentinischen Krieg und besetzte das heutige Süditalien, aber mit so hohen Verlusten, dass er sich bald wieder zurückziehen musste und so geschwächt späteren Gegenangriffen des aufsteigenden römischen Reichs nicht standhalten konnte.

Wir haben das Eilverfahren verloren, sehen aber nun mit Vergnügen dem Hauptsacheverfahren entgegen. Dazu kommt noch, dass wir nicht nur in der Presse (s.u.) für dieses Verfahren viel Zuspruch bekommen haben, sondern sich andere von Corona-Maßnahmen Betroffene unsere Hilfe in Anspruch genommen haben. Es gab schließlich eine Vielzahl der ansonsten noch nie in unserer Tätigkeit zu berichtenden spontanen Zuschriften von Menschen, die uns einfach ihr Lob aussprechen wollten. Beispielhaft sei eine Mitte Mai hereingekommene E-mail genannt. Diese berichtet gleich auch das Ende: Jedenfalls Menschen mit Ferieneigentum im Mecklenburg-Vorpommern dürfen nun (Mitte Mai) wieder rein, das „Haut ab!“ wurde aufgehoben. Wörtlich heißt es in der Mail von Herrn Bert Liefold:

 

„Sehr geehrte Damen und Herren,

ich habe mit großen Interesse Ihren Antrag auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung für die vorläufige Außervollzugsetzung des neuen § 4 Absatz 8 verfolgt.

Die Daumen hatte ich Ihnen ganz fest gedrückt und gehofft das sie vor Gericht obsiegen. Ich finde Ihre Webseite sehr informativ und sehr schön gestaltet. Daumen hoch und sehr großen Dank von mir.

Ich gehe davon aus, das ihnen die Änderungsinformationen des Landes MV bekannt sind. Mir wurden diese gestern übersandt. Falls diese ihnen vielleicht noch nicht bekannt sein sollten, so möchte ich ihnen gern davon eine Abschrift zu Ihrer freien Verfügung zusenden.

Ich als großer Fan von ihnen wünsche ihnen auch weiterhin sehr viel Erfolg.“

 

Wir freuen uns über das Lob.

Ob mit der Lockerung der Einschränkung auch in Mecklenburg-Vorpommern schon alles vorbei ist? Dazu verweisen wir auf unsere „Lockdown-Seite“!

Zugleich haben wir etwas auszuloben, nachdem Füßer länger darüber nachgegrübelt und vergeblich recherchiert hat: Gibt es eine griffige und ähnlich gut historisch fundierte Bezeichnung für das konträre Gegenteil von „Phyrrhussieg“, also die Niederlage, die sich am Ende als vorteilhaft herausstellt? Wenn nicht in Deutsch, dann wenigstens in einer anderen Sprache?! Wenn ja: Wir freuen uns über Zuschriften. Wer als erster „einlöst“, hat zu einer Rechtsfrage im Bereich unserer Kompetenzen eine Erstberatung frei. Der Rechtsweg ist natürlich ausgeschlossen….;-)

 

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