Auch wenn wir keine Spezialisten für den Bereich des ÖPNV-Rechts sind (und auch nicht werden wollen), sind wir in den letzten Jahren immer wieder gebeten worden, uns gleichsam aus Sicht des allgemeinen Planungsrechts und im öffentlichen Wirtschaftsrecht mit neueren Entwicklungen in diesem Bereich zu befassen:
Im Rahmen des Streits um die Vergabe von Linienverkehrskonzessionen im Bereich der Stadt und des Landkreises Wittenberg stand insofern schon ganz am Anfang des 21. Jahrhunderts die – juristisch wie verkehrspolitisch spannende – Frage an, in welchem Umfang eigentlich neuere Entwicklungen der Verkehrsbedienung im Sinne eines sog. Anrufsammeltaxis – seiner Zeit noch in der Variante, bei der man wirklich den Telefonhörer in die Hand nimmt, um einen Fahrtwunsch loszuwerden – jedenfalls auch in den eher verkehrsschwachen „Tagesrandzeiten“ (also nachts) genutzt werden können, um eine gewisse Verkehrsbedienung zu erreichen, ohne dabei (fast) leere Linienbusse herumfahren lassen zu müssen. In unserer – auch an prominenter Stelle rechtswissenschaftlich publizierten – Auffassung – dass dies jedenfalls nach der bis 2012 geltenden Fassung des PBefG unzulässig sei – wurden wir durch das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt und das Bundesverwaltungsgericht bestätigt.
Dass am Ende in Stadt und Landkreis Wittenberg der Anrufbusverkehr weiterläuft und dieses Modell auch vielfach anderswo Schule gemacht hat, wurde – vermeintlich: dazu sogleich – auch durch den sprichwörtlichen Strich des Gesetzgebers ermöglicht: Zwar hat dieser das im PBefG enthaltene Grundmodell des „Numerus Clausus der erlaubten Verkehrsformen“ weiter aufrechterhalten. Durch einen sprichwörtlichen – man könnte ihn schon „gezielt chirurgisch“ nennen ‑ „Strich des Gesetzgebers“ aber – ein Schelm sei, wer Böses dabei denkt und sich für die konkrete Geschichte des Gesetzgebungsverfahrens interessiert – wurden die Absätze 6 und 7 des § 2 PBefG geändert: Lautete § 2 VI PBefG bis dahin noch:
„Beförderungen, die in besonders gelagerten Einzelfällen nicht alle Merkmale einer Verkehrsart oder Verkehrsform dieses Gesetzes erfüllen, können nach denjenigen Vorschriften dieses Gesetzes genehmigt werden, denen diese Beförderungen am meisten entsprechen.“
wurde die Vorschrift nunmehr wie folgt gefasst:
„Anstelle der Ablehnung einer Genehmigung kann im Fall einer Beförderung, die nicht alle Merkmale einer Verkehrsart oder Verkehrsform erfüllt, eine Genehmigung nach denjenigen Vorschriften dieses Gesetzes erteilt werden, denen diese Beförderung am meisten entspricht, soweit öffentliche Verkehrsinteressen nicht entgegenstehen.“
Auf die Idee, dass öffentliche Verkehrsinteressen der Zulassung atypischer Bedienformen, wie einem Anrufsammeltaxis zur Nachtzeit, jemals entgegenstehen könnte, kam hierbei bislang niemand, vielleicht einmal abgesehen von den in entsprechenden Landkreises aktiven Taxifahrern, die nunmehr noch stärker als früher am Rand der wirtschaftlichen Existenz herumkrepeln oder sich sogar damit abgefunden haben, für das im Linienverkehr aktive Busunternehmen des nachts mit ihren eigenen Taxen als „Anrufsammeltaxi“ unterwegs zu sein, dann allerdings zu noch geringeren Sätzen als nach dem Taxameter.
Eine neue Dimension hat das Thema nun dadurch bekommen, dass die Taxiunternehmer nun auch in den Großstädten Konkurrenz bekommen, die ihnen das Wasser – das heißt: die nach Taxameter zahlende Kundschaft – abzugraben droht: Wurde der Marktzutritt solcher amerikanisch-deregulierenden Bösewichte wie UBER gerade in Hamburg erfolgreich gestoppt, sollte dort – neben anderen Modellen wie z.B. das von der Deutschen Bahn initiierte CleverShuttle – mit großem Tamm-Tamm angekündigt nun das vom VW-Konzern initiierte – und schon in kleinem Maßstab in Hannover betriebene ‑ MOIA-Modell starten: Mit bis zu 1000 eigens dafür konzipierten Fahrzeugen bietet MOIA ein rein App-basiertes Ride-Sharing-Modell zunächst in einem Teil von Hamburg an. Basis dafür sollte eine am 25. April 2018 erteilte Genehmigung sein, nunmehr auf der Basis des in § 2 Absatz 7 PBefG enthaltenen sog. Versuchsparagrafen:
„Zur praktischen Erprobung neuer Verkehrsarten oder Verkehrsmittel kann die Genehmigungsbehörde auf Antrag im Einzelfall Abweichungen von Vorschriften dieses Gesetzes oder von auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Vorschriften für die Dauer von höchstens vier Jahren genehmigen, soweit öffentliche Verkehrsinteressen nicht entgegenstehen.“
„Reichlich Aufwand für einen ‚Verkehrsversuch‘ zur ‚Erprobung neuer Bedienformen‘!“ mag man denken und sich im Übrigen anhand der erteilten Versuchsgenehmigung einerseits und der MOIA-Selbstdarstellung andererseits fragen, wieviel „Versuch“ (mit begleitender Datenerhebung und Kontrolle durch die Verkehrsbehörde, als derjenige, der den Versuch durchführt) da wirklich ist und ob es sich nicht vielmehr um den Marktzutritt eines neuen Spielers handelt, der – anders als UBER – zugleich von den für die anderen Anbietern üblichen Regeln weitgehend freigestellt wird und insofern zugleich zu einer Bedrohung für diejenigen werden könnte, die sich derzeit bei Unterwerfung an ein strenges Korsett von Verhaltensregeln um die Bedienung von Nachfrage nach „Mobilität“ kümmern, d.h. die Taxiunternehmer mit den von ihnen beschafften Fahrzeugen und dazu beschäftigten Taxifahrern.
Nachdem Füßer sich zunächst 2018 auf Initiative des Hamburger Taxisunternehmers Krijan auf einer Vortragsveranstaltung vor Hamburger Taxifahrern zur geplanten Einführung von MOIA als „Versuch“ geäußert hatte, wurde nun erst Ernst gemacht: Im Auftrag des genannten Taxiunternehmers wurde nicht nur die gerichtliche Feststellung der von der Hamburger Wirtschaftsbehörde geleugneten aufschiebenden Wirkungen des von Herrn Krijan erhobenen Widerspruchs und seiner Klage gegen die für das von der VW-Tochter betriebene Ridesharing-Modell mit eigens dafür designten MOIA-Elektrofahrzeugen erteilte „Versuchsgenehmigung“ (für immerhin bis zu 1000 Fahrzeugen (!)) beim Verwaltungsgericht Hamburg erstritten und beim Oberverwaltungsgericht verteidigt. Auch die sodann von der Hamburger Wirtschaftsbehörde reflexartig erlassene Anordnung der sofortigen Vollziehung fand beim Verwaltungsgericht keine Gnade: Mit seinem lesenswerten Beschluss vom 24. April 2018 hat das Verwaltungsgericht angeordnet, dass der Versuch bis zur Klärung in der Hauptsache auf maximal 200 MOIA-Fahrzeuge auf Hamburgs Straßen gleichzeitig begrenzt ist.
Gegen diesen Beschluss haben Herr Krijan wie auch die Freie und Hansestadt Hamburg und MOIA selbst Beschwerde eingelegt. Im Beschwerdeverfahren war die spannende Frage zu erörtern, ob die schon vor Ort aktiven Taxifahrer tatsächlich und allenfalls ein Recht auf gerichtliche Überprüfung insofern haben, als sie sich gegen einen ruinösen Marktzutritt eines neuen Spielers am Markt für Mobilitätsdienstleistungen wehren oder ob nicht vielmehr das Motto gilt: „Wer sich einem Spiel nach engen öffentlichen Regeln auf einem Markt unterwirft, hat auch ein Recht darauf, dass die zuständige Behörde diese auch gegen andere Spieler durchsetzt, Versuche mit neuem Kram allenfalls im Labormaßstab und unter ebensolchen Bedingungen zulässt und die Gerichte darüber streng wachen!“
Entgegen der Hoffnungen von Herrn Krijan und uns als seinen Anwälten hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht den Taxifahrern im Beschluss vom 1. Juli 2019 ein solches Recht nicht zugebilligt und konsequenterweise auch die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Begrenzung auf 200 MOIA-Fahrzeuge aufgehoben. Die Rechtsgrundlage zur Erteilung einer Erprobungsgenehmigung diene nach den Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts nicht den Interessen der bereits am Personenbeförderungsmarkt aktiven Unternehmen. Auch aus den Grundrechten ergebe sich hier kein Abwehrrecht.
Ob die Begründung für dieses Ergebnis wirklich überzeugt, wird noch im Rahmen einer zeitnahen Publikation zu erörtern sein; die Anforderungen an die Rechtsschutzmöglichkeiten staatlich stark regulierter Taxenunternehmen scheinen doch stark überspannt. Es bleibt daher zu hoffen, dass dem Hamburgischen Oberverwaltungsgericht in dieser Sache nicht das letzte Wort zukommt.
Materialien:
- Flexible Bedienformen im ÖPNV (DVBl, Heft 1/2011, S. 20 ff.)
- Homepageeintrag Füßer & Kollegen zu Flexiblen Bedienformen
- Beschwerdebegründung im Verfahren Clever-Shuttle