Nachdem wir uns – unser Gründungspartner Füßer vorweg – bereits am Anfang der Corona-Pandemie gemeldet und eine Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und der Freiheitsrechte angemahnt, sodann „Einreisefreiheit für Geimpfte“ in Mecklenburg-Vorpommern erkämpft haben und bei Beginn der zweiten Welle gezieltere Maßnahmen, sowie eine Einbindung der Landesparlamente bei dem regelmäßigen Erlass der Corona-Rechtsverordnungen forderten, stellt sich nun die Frage, wohin Deutschland sich in der Corona-Pandemie bewegt und wann eine Ende der „Corona-Maßnahmen“ geboten ist.
Während England am 19. Juli 2021 bei einer Inzidenz von 465,6 und einer Impfquote von 53,39 % den „Freedom Day“ und damit die Aufhebung nahezu aller „Corona-Maßnahmen“ ausgerufen hat, fehlt es Deutschland bei einer Inzidenz von 11,4 und einer Impfquote von 47,3 % an einem klaren „Fahrplan“ für den Weg aus der „Corona-Zeit“. Der Grund für dieses Problem besteht bereits seit Beginn der Pandemie: Klar definierte erreichbare Ziele der Maßnahmen fehlen bzw. es erfolgt eine ständige Zielverschiebung. Zu Beginn der Pandemie in Deutschland im März 2020 hieß es „Inzidenzen runter!“. Anschließend wurden die vulnerablen Gruppen durch die Maßnahmen geschützt und die Inzidenz sollte möglichst unter 35 bleiben, da dies die „magische Zahl“ war, bis zu welcher die Gesundheitsämter eine effektive Kontaktnachverfolgung gewährleisten konnten. Übergeordnet gab es das Ziel möglichst weniger Ansteckungen bis zur Zulassung der Impfstoffe. Mittlerweile sind nicht nur mehrere Impfstoffe zugelassen, sondern drei von vier der Übersechszigjährigen sind bzw. knapp jeder zweite Deutsche ist bereits „vollständig geimpft“ und somit bestmöglich jedenfalls vor einem schweren Verlauf oder dem „Tod durch Corona“ geschützt. Das Ziel der Eindämmung durch effektive Nachverfolgung ist ausweislich der Daten des Robert Koch Institutes gescheitert, da selbst bei einer Inzidenz unter zehn bei 4636 der 5492 Ansteckungen in der 27. Kalenderwoche der Ausbruchsort nicht erfasst wurde. Mit anderen Worten: Bei der Durchleuchtung des Infektionsgeschehens – und folglich auch bei den notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens – tappen wir im Dunkeln.
Aufgrund dieses Befundes stellt sich die Frage: Was ist das Ziel der aktuellen Maßnahmen bzw. kann es legitimer weise mit Blick auf die Umgestaltung unserer Kultur (Thema „Begrüßungs- und Abschiedsrituale“) – teils: als massiv empfundenen ‑ Einschränkungen unserer Freiheit sein, incl. der dräuenden auch in den Herbst fortgesetzten Verweigerungshaltung, die schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft – unsere Kinder – auf einem ansprechenden Niveau mit frühkindlicher und schulischer Bildung zu versorgen? Sofern man dies mit dem Sinn und Zweck des Infektionsschutzgesetzes – „Zweck des Gesetzes ist es, übertragbaren Krankheiten beim Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern“ (vgl. § 1 I IfSG) – beantwortet und daher jede Infektion mit SARS-CoV-2 verhindern möchte, stellt sich die Frage, ob die Maßnahmen im Lichte unserer freiheitlichen Verfassung und der Möglichkeit für alle Deutschen ab dem zwölften Lebensjahr sich selbst durch eine Impfung vor einem schweren Verlauf zu schützen, verhältnismäßig sind: Ist die tatsächlich legitime Aufgabe des Staates, Bürger, die sich durch eine Impfung selbst schützen können, durch Maßnahmen, die die Freiheit der gesamten Bevölkerung einschränken, vor den nach Impfung verbleibenden jeweiligen individuellen Infektionsrisiken zu schützen? Wir gehen davon aus, dass der Staat mit der Organisation des Impfangebots für alle Bürger, die sich mit einem zugelassenen Impfstoff impfen lassen können, seine Pflicht erfüllt. Der Schutz der Impfunwilligen zu Lasten aller Bürger führt jedenfalls wenn die Politik weiterhin von einer Impfpflicht absieht, zu endlosen „Corona-Maßnahmen“, da das Ziel der Herdenimmunität sowohl aufgrund der schwindenden Impfbereitschaft wie auch aufgrund der Erfahrungen mit Blick nach Malta (Inzidenz von 325 bei einer Impfquote von über 80 %) oder Island (Inzidenz von 46 bei einer Impfquote von über 70 %) illusorisch ist.
Vor 18 Jahren hielt Angela Merkel eine Rede zum Jahrestag der Deutschen Wiedervereinigung mit dem Titel „Quo vadis Deutschland“, welche kurz vor dem Ende ihrer Kanzlerschaft aktueller denn je ist:
„Und zum Schluss wird die Freiheit in der Gesellschaft ausgehöhlt, weil aus Mangel Zwangsmaßnahmen, Rationalisierung, zuviel Staat, Starre und Resignation um sich greifen. In der Hierarchie der Werte rangiert Freiheit nicht nur in den neuen Bundesländern, sondern – und das finde ich mindestens so Besorgnis erregend – auch und gerade in den alten Bundesländern ganz unten. Eine Studie des Allensbach-Institutes belegt das eindringlich. Es ist wahr: Unser Gemeinwesen braucht alle drei Werte – die Freiheit, die Solidarität, die Gerechtigkeit. Wahr ist aber auch: Unser Gemeinwesen braucht eine Neujustierung dieser drei Werte in ihrem Verhältnis zueinander, und zwar zugunsten der Freiheit. Oder anders gesagt: Damit Solidarität und Gerechtigkeit wieder gelebt werden können, muss die Freiheit in unserer Wertehierarchie wieder deutlich von unten nach oben kommen.
Denn ohne Freiheit ist alles nichts. Das ist die Richtung, in der Veränderungen stattfinden müssen.“
Nach knapp Anderthalbjahren „Corona-Regelungsregime“ mit tiefgreifenden Grundrechtseingriffen muss das Ziel aller Maßnahmen die Beendigung aller Maßnahmen sein. Mit Blick auf die aktuell steigenden Zahlen befürchten wir jedoch, dass Freiheit nicht die Richtung ist, in der Veränderungen stattfinden werden. Spätestens im Herbst werden die Zahlen wie bereits jetzt in den europäischen Nachbarländern steigen und dann werden die Gerichte prüfen müssen, ob erneute Maßnahmen – sei es ein Lockdown, partielle Einschränkungen und die inzwischen notorische (Teil-)Abschaltung des Bildungsauftrags – mit Blick auf die Möglichkeit des individuellen Schutzes und der damit einhergehenden Schonung der Intensivkapazitäten verhältnismäßig ist. Hierbei haben es die Gerichte bislang weitgehend versäumt, die Normenkontrollverfahren aus der „ersten Welle“ zu entscheiden und damit auch dem Verordnungsgeber klare Leitplanken für zukünftige Maßnahmen aufzuzeigen.